Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
nicht?«
»Noch nicht.«
»Du scheinst gute Laune zu haben. Wie ist es dir eigentlich so ergangen, hm?«
»Ich bin noch nicht tot.«
»Wir auch nicht.«
»Noch nicht.«
»Richtig, noch nicht. Es ist ein bisschen komisch, dich so begeistert zu erleben.«
»Ich kann auch verschwinden, wenn du das möchtest.«
»Noch nicht.«
Gariath antwortete nicht, sondern ließ seinen Blick über das Schiff gleiten. Abgesehen von Draedaeleons gemurmelter Anrufung, mit der er die Flammenwand aufrecht und die Niederlinge unter Deck hielt, herrschte auf dem Schiff Ruhe, vom Niedergang bis zu der düsteren Kabine am Heck.
»Und du wartest worauf?«
Es geschah ganz plötzlich. Sämtliche Geräusche erstarben, als hätten sie Angst, gehört zu werden. Wolken verdeckten den Mond, der sich fürchtete, gesehen zu werden. Ein merkwürdiger Druck legte sich auf das Deck des Schiffes, als
sänke der Himmel herab und versuchte, sich im Meer zu verstecken.
»Darauf«, flüsterte Lenk.
Draedaeleons Stimme erstickte, seine Anrufung und die Flammen, die sie beschworen, erstarben im selben Moment. Die Niederlinge tauchten langsam aus dem Niedergang auf. Ihre Blutgier und ihr Hass zeigten sich immer noch in ihren weißen Augen, aber sie hielten sie hinter ihren Schilden und eingenockten Pfeilen zurück.
Sie starrten die Gefährten, die sich zum Hauptmast des Schiffs zurückzogen, blutrünstig an und breiteten sich schweigend aus. Es war kaum mehr als ein Fluch oder ein Knurren zu hören, als sie ihre Positionen einnahmen und ihre Beute umringten. Aber keine machte Anstalten, ihre Klinge zu heben oder den Bogen zu spannen. Das Verlangen danach zeichnete sich unübersehbar auf ihren Gesichtern ab, aber sie wurden von irgendeinem unhörbaren Befehl zurückgehalten, von einer vorsichtigen Ruhe beherrscht, die Lenk zutiefst beklemmend fand.
Er hatte das schon einmal erlebt.
»Kann ich etwas für euch tun?« Die tiefe, wohlklingende Stimme schien Lenk höflich zu bitten, sich doch umzudrehen.
Zwischen den purpurnen Säulen aus Muskel und Eisen, die ihn flankierten, wirkte das Langgesicht auf den ersten Blick nicht sonderlich beeindruckend. Aber Lenk erkannte schnell die lodernden Augen und die Krone aus schwarzem Eisen, die auf Sheraptus’ Stirn saß. Und noch weniger Zeit brauchte er, behutsam sein Schwert zu heben und seine andere Hand zu seinem Gürtel gleiten zu lassen, um den Jutesack zu ergreifen, der daran hing.
»Wenn er nur einen Arm hat«, flüsterte Gariath, »dürfte ihn das doch wohl ablenken, richtig?«
»Ja, aber...«
Der Drachenmann wartete nicht. Er schleuderte Togu auf das Langgesicht, heulte, ließ sich auf alle viere fallen und
griff nach dem quiekenden grünen Wurfgeschoss an. Die Frauen machten keine Anstalten, ihm in den Weg zu treten, während Sheraptus eine Hand hob und lässig winkte.
Die Luft erzitterte vor Macht. Ein unsichtbarer und lautloser Sturm wurde aus dem Nichts gezeugt, fegte über das Deck und wischte sowohl Togu als auch Gariath von den Planken über die Reling des Schiffes. Lenk beobachtete erstaunt, wie das Gebrüll seines Gefährten mit einem kurzen Platschen endete. Sheraptus schien nicht im Geringsten beeindruckt zu sein, sondern warf nur einen desinteressierten Blick über die Seite des Schiffs und sah dann Lenk wieder an.
»Also?«, fragte er. Einen Augenblick später schien er ihn zu erkennen. »Oh, du bist es. Immer noch am Leben?«
Lenk nickte schwach, weil er gerade erst dabei war, sich von dem Schock zu erholen.
»Ich gehe davon aus, dass meine Frauen tot sind?«
Lenk nickte wieder. Sheraptus betrachtete ihn aufmerksam, bevor er den Kopf auf die Seite legte.
»Und?«
Lenk zuckte zurück. Er hatte mit allen möglichen Fragen gerechnet, aber nicht damit. »Und... was?«, fragte er.
»Willst du noch etwas?«
»Was? Wir ...« Er schüttelte seine Verwirrung ab und versuchte sie durch stählerne Entschlossenheit zu ersetzen, jedenfalls so gut er konnte. »Wir sind wegen unserer Freunde gekommen.«
»Das finde ich jetzt aber nicht besonders fair.« Sheraptus wirkte beleidigt.
»Fair?« Diese Bemerkung war so unglaublich, dass Lenk wie betäubt war.
»Ich habe fast zwei ganze Fäuste von Frauen, fast zweimal fünf Frauen, auf diesem Strand zurückgelassen, und du hast sie alle getötet«, meinte Sheraptus und deutete dann auf das Deck. »Drei weitere hast du hier zur Strecke gebracht, und wer weiß wie viele in Eisentrutz.« Er runzelte die Stirn. »Jetzt nehme ich mir nur zwei
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