Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
»Beeindruckend.«
»Bibliothekar!« Draedaeleon hatte mit seinem Mut auch seine Stimme wiedergefunden. »Wartet!«
»Alle beteiligten Parteien werden vor ihrer Exekution verhört«, antwortete Bralston, dessen Augen rot glühten, als er einen Arm ausstreckte, auf dem Flammen loderten.
»Ich kenne nicht einmal zwei von diesen Worten«, erwiderte Sheraptus, dessen lodernder Blick und lodernde Hand der des Bibliothekars in nichts nachstanden. »Oh, mein Freund, ich kann so viel von dir lernen.«
Der Lärm vor der Kabine ließ das Schiff erzittern. Waffen klirrten, die Schlacht tobte, und dann gab es eine kurze Pause, bevor ein Kreischen ertönte, bei dem das Glas in den Bullaugen zersprang und die Türen unter dem Druck nachzugeben drohten. Und jetzt hatten die ernsthaften Kampfgeräusche eingesetzt, das Schnarren, Brüllen, Grunzen, Klirren und Zischen.
Und jedes einzelne Geräusch wollte sich vor den anderen hervortun, um gehört zu werden, und jedes erzählte Kataria in seiner Hast, ihr alles zu berichten, gar nichts.
Der Lärm in ihrem Kopf jedoch war noch lästiger. Furcht, Zweifel und Frustration ließen sie kaum einen klaren Gedanken fassen und waren schon schlimm genug, auch ohne die Stimme des Instinktes, ohne das Heulen, durch das der Shict, den sie kannte, zu ihr sprach. Seine Worte hallten laut durch ihr Hirn.
Überlebe, sagte er ihr. Shict überleben. Shict bewahren. Shict heilen. Du bist eine Shict. Du hast eine Pflicht deinem Volk gegenüber. Es fiel ihr schwer, die Stimme zu ignorieren. Ignoriere die Menschen. Ihre Pflicht ist es, zu leben und zu sterben. Dein Überleben ist mehr wert.
Vor allem, weil sie nicht den Willen aufbringen konnte, sich der Meinung dieser Stimme anzuschließen.
Der Wille des unsichtbaren Shict machte sich mit fast jedem
Atemzug in ihrem Kopf bemerkbar und war ebenso wenig zu ignorieren, wie sie aufhören konnte zu atmen. Doch jedes Mal, wenn er sie aufforderte, sich auf sich selbst zu konzentrieren, glitt ihr Blick umso sicherer zu der bleichen gefesselten Gestalt in der Ecke.
Asper lebte noch, auch wenn ihr flacher Atem und ihr regungsloser Körper nicht den Anschein machten. Die Priesterin rührte sich nicht, sagte kein Wort und zitterte nicht einmal mehr. Ihr leises Weinen und ihr heftiges Zittern hatten schon lange aufgehört, und es war nichts als ein Haufen von schlaffen Knochen und Haut zurückgeblieben, der immer wieder leise atmend dasselbe murmelte.
»Du hast es zugelassen«, flüsterte sie. »Ich habe alles gegeben. Ich habe alles richtig gemacht. Du hast es einfach zugelassen.«
Was hätte ich denn tun können?, dachte Kataria. Wie konntest du nicht erkennen, was er ist? Wieso wusstest du nicht, dass du hättest schweigen müssen?
Sie ist ein Mensch, antwortete das Heulen. Sie besitzt keinerlei Instinkt. Sie überlebt durch andere Methoden, über die sie jetzt nicht mehr verfügt. Du bist eine Shict. Du hast Instinkt. Du überlebst, sodass alle Shict überleben können. Du hast eine Pflicht deinem Volk gegenüber.
Der Gedanke war ihr Gedanke und doch wieder auch nicht, eine schlummernde, wilde Erkenntnis, die in ihr erwachte. Und die immer häufiger das Wort ergriff, immer drängender. Jetzt war es nicht länger gemeinsames Wissen, war nicht länger Instinkt. Das Heulen war ihr ganzes Volk, komprimiert in einem einzelnen Gedanken.
Den sie ebenso wenig zu ignorieren wie zu begreifen vermochte. Der Wille des unsichtbaren Shict streifte sie nur durch flüchtige Gedanken, er ermunterte das Heulen, zu erwachen und ihr zu sagen, wo er sich befand. Nichts weiter kam von ihm, kein Rat, keine Anweisung. Sie zermarterte sich das Hirn, suchte nach einer Möglichkeit zu entkommen, ihn zu erreichen.
Dann sah sie Asper an und vergaß alles.
Sie hörte das Schluchzen der Priesterin, sah ihre qualvollen Tränen. Sie vergaß, dass sie einen Menschen ansah, einen von vielen. Sie vergaß, dass Asper ihr nichts bedeuten sollte, dachte nicht daran, dass sie nur an sich, an ihr Volk, ihre Pflicht denken sollte. Stattdessen fiel ihr ein, dass Asper ihre Freundin war.
Dass die Priesterin der Grund war, warum nicht sie dort schluchzend auf dem Boden lag.
Das war alles, sie erinnerte sich nicht an tröstliche Worte, erinnerte sich nicht daran, dass man ihr versicherte, sie wäre gerettet. Das Heulen sprach in den Momenten seltener Klarheit zu ihr, und dann begann alles von vorn.
Überleben, drängte es sie. Du musst überleben. Wir müssen überleben. Du musst ...
Die
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