Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
wäre es wohl auch Zeitverschwendung gewesen, das Ungeziefer von mir fernzuhalten«, knurrte Lenk, während er das Netz der Schleppspinne von seinem Körper zerrte.
»Sie fressen, wann immer sie können, Silberhaar«, antwortete sie. »Es ist schon lange her, seit sie so etwas Nahrhaftes und Lebendiges auf dieser Insel gefunden haben.«
»Du meinst etwas wie mich?«
»Wie dich.« Sie klang fast enttäuscht. Als sie seine finstere Miene bemerkte, raffte sie sich zu einem schwachen Lächeln auf. »Aber du lebst. Ich bin froh.«
»Versteh mich nicht falsch, ich selbst bin ebenfalls überaus erfreut darüber«, er versuchte aufzustehen, »aber...«
Ein Schrei entrang sich seiner Brust, als ein brennender Schmerz durch sein Bein zuckte. Er ließ sich wieder auf den Sand zurücksinken und warf einen Blick auf seinen Schenkel. Oder vielmehr auf die schuppige grüne Masse, die einmal sein ordentlich genähter und bandagierter Schenkel gewesen war. Die Wunde war aufgerissen, und das Fleisch unter der Haut schimmerte und verfärbte sich an den Rändern bereits.
»Überanstrenge dich nicht«, sagte Grünhaar, während sie aus dem Wasser stieg. Ihre mit Schwimmhäuten versehenen Finger zuckten, als sie sich ihm näherte. »Deine Wunde eitert. Dein Leben fließt aus dir heraus, wenn du dir zu viel zumutest. Der Geruch ist süß in den Nasen von Raubtieren.«
Er warf einen Blick auf das Meer. Die Schleppspinnen huschten über die Oberfläche und warfen ihm finstere Blicke zu, weil er so unfreundlich gewesen war weiterzuleben. Heftige Schmerzen durchzuckten seinen Körper, sodass er unwillkürlich
mit dem Gedanken spielte, sich einfach hinzulegen und sich den Spinnen zu überlassen.
Er unterdrückte dieses Gefühl und die obszönen Flüche, die ihm auf der Zunge lagen, rappelte sich auf und verlagerte sein Gewicht auf das unversehrte Bein. Dabei kämpfte er gegen den Schwindel an, der sich nach Kräften bemühte, ihn wieder zu Fall zu bringen.
»Wo bin ich?«, erkundigte er sich.
»In der Heimat der Owauku«, gab sie zurück. »Den ergebenen Dienern der Seemutter, die ihrem Gebot frommen Respekt erweisen.«
»Owa... was?« Lenk zuckte zusammen. »Nein, ich meine, wo bin ich? Wie heißt diese Gegend?«
»Teji.«
»Teji ...« Irgendwie kam ihm der Name bekannt vor. Dann begriff er, und diese Erkenntnis verlieh ihm die Kraft, stehen zu bleiben. »Teji. Teji!« Als er ihren verblüfften Blick bemerkte, grinste er über das ganze Gesicht. Seine Aufregung schien sich sogar in seinen Zähnen widerzuspiegeln. »Genau hier sollten wir sein! Hier wird Sebast uns erwarten, wird uns zurück zu Miron bringen, der uns entlohnen wird, und dann sind wir so weit! Wir haben es geschafft! Wir haben es vollbracht! Wir... wir...«
Wir.
Dieses Wort schmeckte bitter auf seiner Zunge, klang irgendwie hohl. Er sah sich auf dem Strand um: nichts als Sand und Ozean, endlos und nicht im Geringsten interessiert an der Verzweiflung, die sich von seinem Magen ausbreitete und sich auf seinem Gesicht spiegelte.
»Wo sind sie?«, stieß er erstickt hervor. »Hast du niemanden sonst gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Teji ist nicht der Ort, an dem Menschen leben, Silberhaar.«
»Was? Es ist ein Handelsposten, hat Argaol gesagt.«
Sie warf ihm einen traurigen Blick zu. »Silberhaar... Teji ist ein Friedhof.«
Sie deutete mit einem Finger über seinen Kopf hinweg. Im selben Moment spürte er eine Dunkelheit über sich, einen Schatten, der tiefer in ihn drang als der bewölkte Himmel über ihm. Er drehte sich herum, hob den Blick und starrte in das Gesicht einer Gottheit.
Die Statue erwiderte seinen Blick von der Sanddüne hoch oben. Die rechte steinerne Hand war ausgestreckt, all denen Einhalt gebietend, die sie sahen. Eine steinerne Robe umhüllte eine schlanke Gestalt, die auf schmiedeeisernen Rädern stand. Statt eines Gesichtes war der Figur das große geflügelte Symbol des Phoenix von Talanas eingemeißelt, das Lenk mit angelegten Schwingen und weit aufgerissenem Schnabel musterte.
Der Monolith bot ein Bild des Verfalls: Die Räder waren verrostet und steckten tief im Sand, an vielen Stellen war der Stein zertrümmert, andere waren von Wind und Regen erodiert. Dagegen wirkte der Haufen von Schädeln, die um seine Räder aufgetürmt waren, geradezu unbedeutend.
»Was?«, stieß er keuchend hervor. »Was für ein Ort ist das hier?«
»Hier hat der Kampf zwischen Aeons und Sterblichen ernsthaft begonnen«, erklärte Grünhaar. »Die
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