Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
die Jahre geweigert hast, deinen Platz in Seinem Kontobuch auszufüllen.
Kluger Rat, dachte Lenk.
Sein Schiff befand sich wahrscheinlich auf dem Meeresgrund, zusammen mit dem Vermögen, dem er hinterhergejagt war. Und seine Gefährten befanden sich vermutlich nicht weit davon entfernt, trieben entweder als angeknabberte Kadaver oder als faseriger Akaneedkot im Meer. Nachdem er sich dies bildlich vorgestellt hatte, kam es ihm nicht mehr ganz so schlimm vor, dass er weder über etwas zu essen noch über Trinkwasser verfügte.
Er würde ungern die Götter gegen sich aufbringen und in die Hölle geschickt werden; er hatte gesehen, welche Kreaturen ihr entsprangen. Nein, nein, sagte er sich. Jetzt ist es vorbei. All das Elend, der ganze Schmerz, den er in seinem Leben hatte erleiden müssen, hatte hierhergeführt; zu einigen wenigen
Augenblicken herzzerreißenden Deliriums, und dann ab ins Meer, wo seine Knochen von Krabben und Aalen saubergeknabbert wurden.
Guter Plan.
Eine Welle spülte über seine Beine; er spürte, wie etwas gegen seinen nackten Fuß stieß. Er betastete es mit seinen Zehen, erwartete ein Stück zersplittertes Treibholz, vielleicht sogar von seinem Boot. Oder vielleicht die Überreste seiner Gefährten: Aspers abgetrennter Kopf, Denaos’ angekautes Bein. Er lachte leise über diesen makaberen Gedanken, verstummte jedoch, als er mit einem Zeh über den Gegenstand strich.
Es war nicht so weich wie Haut, nicht einmal so weich wie Holz. Es war fester, und es überlief ihn kalt, als ein Blutstropfen aus seinem Zeh quoll.
Er bemühte sich, sich aufzurichten, griff mühsam in die Brandung und wurde belohnt, als seine Hände sich um nasses Leder legten. Er war fast zu ängstlich zu glauben, was er da fühlte, und riss den Gegenstand an sich, bevor die Furcht ihn davon abhalten konnte.
Er hielt sein Schwert in der Hand, das Schwert seines Großvaters, fest und zärtlich wie eine Geliebte. Sein blanker Stahl funkelte im Sonnenlicht, hatte dem Nass getrotzt, das beinahe sein Grab geworden wäre. Die Sonne zuckte bei seinem Anblick zurück. Dieses Schwert, dachte er, würde nicht glühen wie ein Engel, wenn es tötet. Nein, es ist ein Schwert für grauen Himmel und grimmiges Lächeln.
Und niemand hatte jemals grimmiger gelächelt als Lenks Großvater.
Aber vergiss nie, hatte er damals seine Lektion beendet, du und ich sind Gefolgsleute von Khetashe, Angehörige des Ausgestoßenen. Er hält für Seine Gläubigen keinen Platz im Himmel bereit. Er verachtet uns für den Ruf, den wir Ihm einbringen. Also warum sollten wir sterben, wenn Er es will?
Lenk bemerkte, wie sein eigenes Lächeln breiter wurde, während er sich mühsam aufrappelte. Es war sehr gut möglich,
dass jetzt seine Zeit gekommen war. Dass sein Schwert angespült wurde, konnte ein Zufall sein, vielleicht eine mildtätige Gabe der Götter. Ein Erbstück, das er mit ins Grab nehmen durfte. Doch er folgte dem Ausgestoßenen, und Khetashe hatte noch nie geglaubt, dass er auf eine göttliche Nachricht hören würde, die er ihm schickte.
Er drehte sich um und warf einen Blick über die Schulter auf die dichte grüne Wand. Es war ein Wald. Ein Wald bestand aus Bäumen. Bäume waren Pflanzen. Pflanzen brauchten Wasser. So wie er.
Erst das Wasser, dachte er, als er auf den Forst zuging, sein Schwert an sich gedrückt. Erst trinken, dann essen, dann suche ich Sebast und halte ihn so lange auf, bis ich die anderen gefunden habe.
Sein Lächeln wurde noch eine Spur grimmiger.
Oder wenigstens etwas, das ich begraben kann.
»Beschreibe mir, Kataria«, hatte sie einmal gesagt, »was ist eine Shict?«
»Das habe ich vor endlosen Zeiten gelernt« , hatte ihre Tochter mürrisch erwidert. »Ich könnte lernen, wie man einen Hirsch häutet, wenn ich nicht hier hocken und mich mit Trivialitäten abgeben müsste. Einen Hirsch! Ich könnte von oben bis unten mit Blut besudelt sein, wenn... Au!«
Nach dem Schlag fuhr ihre Tochter missmutig fort: »Riffid hatte die Shict aus dem Dunklen Forst geführt und uns Instinkt geschenkt, nichts weiter. Sie wollte nicht, dass wir verweichlichten, sondern dass wir auch getrennt von Ihr gedeihen und... Au! Das ist nicht fair, ich habe es richtig wiedergegeben!«
»Du hast mir erklärt, was nach der Meinung deines Vaters eine Shict ausmacht.«
»Aber alle stimmen ihm zu! Du hast mich gefragt, was eine Shict ist, nicht was ich glaube, was eine Shict ist! Was also soll ich deiner Meinung nach sagen?«
»Wenn du erraten
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