Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
meine Söhne nicht sehen, Großvater ... ich werde sie nie wieder sehen. Denn ich kann euch nicht folgen.«
»Es ist, wie es sein muss, Weisester.«
»Warum?«
Er sprang auf, und der Sand spritzte unter seinen Füßen hoch. Die Erde bebte, als er aufstampfte und seine Hände zu Fäusten ballte, so fest, dass das Blut unter seinen Krallen heraussickerte. Er fletschte die Zähne, zog die Augen zusammen, und seine Ohrlappen fächerten sich auf.
»Das passiert jedes Mal!«, schnarrte er. »Jedes Mal stirbt jemand, und jedes Mal bin nicht ich es, und ›das ist, wie es sein muss‹. Alle seufzen, zucken mit den Schultern und leben weiter. Ich habe das satt, und ich habe auch das Leben satt. Wenn das Leben so sein muss, ziehe ich den Tod vor!«
»Es ist aus einem bestimmten Grund so, Weisester. Du hast Pflichten deinen Vorfahren gegenüber.«
»Noch mehr Ausflüchte! Noch mehr Dummheiten! Pflicht und Ehre und Verantwortung!« Er heulte und stampfte mit den Füßen auf. »Das sind alles nur Ausflüchte, um die wichtigen Dinge nicht zu erledigen, um das Leben und seinen Schmerz zu entschuldigen! Ich habe meine Pflichten erfüllt, Großvater! Ich habe versucht, so zu leben, wie Rhega es sollen. Ich habe versucht, Rhega zu sein, obwohl es keine mehr gibt. Ich habe es versucht, und ... und ...«
Seine Faust sauste von einem lauten Heulen begleitet herab und schlug ein Loch in das Treibholz direkt neben dem Älteren. Mit einem lauten Brüllen riss er die Faust wieder heraus; Holzsplitter steckten in seiner Haut, aus der Blut quoll, so wie Tränen aus seinen Augen. Er brach zusammen, sank auf die Knie, presste seine Stirn gegen das Holz und holte rasselnd Luft.
»Es ist zu schwer, Großvater. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich kann nicht folgen!« Er schlug erneut mit der Faust auf das Holz. »Ich kann mich nicht umbringen.« Ein weiterer blutiger Schlag. »Ich kann es einfach nicht!«
Es kam nicht allzu oft vor, dass Gariath bei einer Berührung
zusammenzuckte. All der Stahl und das Eisen, die blutrote Spuren auf seiner Haut hinterlassen hatten, all die Narben und Prellungen, die er davongetragen hatte, hatten ihn nicht einmal zittern lassen. Aber sie hatten auch breite, stolze Schultern und Arme getroffen, die dick und kraftvoll waren.
Die Hand, die sich jetzt auf ihn legte, berührte Schultern, die gebrochen und gesenkt waren, Arme, die schlaff und mit blutigen Händen an seinen Seiten herunterhingen.
»Weisester«, flüsterte der Ältere. »Wir sind Rhega. Die Flüsse strömen in unserem Blut, und wir empfinden dieselben Qualen, so wie wir sie empfunden haben, seit wir auf dem roten Fels geboren wurden. Ich verlange nicht von dir, es für dich oder für mich zu tun...« Er packte Gariaths Schulter fester. »Ich sage dir, du tust es für uns. Für die Rhega«
»Was?« Gariath klang schwach. »Was soll ich tun?«
»Leben.«
»So einfach kann das nicht sein.«
»Du weißt, dass es nicht einfach ist.« Der Ältere erhob sich, ging zum Ufer. »Du hast so oft geblutet, Weisester, so viel Zeit damit verbracht zu töten. Du hast vergessen, wie es ist zu leben.«
»Es ist hart.«
»Ich werde dir helfen, wo ich kann, Weisester.« Der Ältere lächelte. »Aber es gibt bessere Mentoren für das Leben als die Toten.«
»Als da wären?«
Der Ältere dachte einen Moment sorgfältig nach und kratzte sich dann das Kinn. »Was ist mit Lenk?«
»Tot.«
»Bist du sicher?«
»Welche Rolle spielt das schon?«
»Überlege, wo du ohne ihn wärest«, gab der Ältere zurück. »Immer noch dort, wo du deine Söhne begraben hast? Oder dich selbst, wenn derjenige, der dich getötet hätte, genügend Respekt aufgebracht hätte, dich nicht bei lebendigem Leib zu
häuten und dein Gesicht als Hut zu tragen? Wie ist es dir gelungen, von dort wegzukommen?«
»Indem ich Lenk gefolgt bin.«
»Und wie ist es dir gelungen, Grahta zu finden? Und hier zu enden, auf dass ich dich finden konnte?«
»Willst du behaupten, dass ich Lenk brauche?«, knurrte Gariath, den diese Vorstellung abstieß. »Er ist anständig genug, dass er einen guten Tod verdient hat, aber er ist trotzdem dumm und schwach ... ist trotzdem ein Mensch. Selbst wenn er noch lebt, wie soll ich ihn dazu bringen, mich dorthin zu führen, wohin ich als Nächstes gelangen muss? Wie kann ich auch nur ...?«
»Viele Fragen«, fiel der Ältere ihm seufzend ins Wort, »verlangen viele Antworten. Fürs Erste solltest du dich auf Einfachheit beschränken. Du bist
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