Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
zwischen zwei Leben gefangen. Wähle eins aus, und dann triff eine weitere Wahl.«
»Was für eine Wahl?«
»Im Laufe der Zeit musst du viele Entscheidungen treffen.« Der Ältere drehte sich um und ging auf Gariath zu, wobei er jeden seiner Schritte zählte. »Die Möglichkeit, meinen Altenstein aufzusuchen, ist eine, aber er liegt weit weg in der Zeit und auch in der Entfernung. Die schwerste Entscheidung«, er hielt inne und zog mit dem Zeh eine Linie in den Sand, »ist die, zu erkennen, dass du niemals so allein sein wirst, wie du zu sein hoffst.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das ist der Sinn meiner kryptischen Gedankenspiele, Junge«, murmelte der Ältere. »Aber wir haben keine Zeit, darüber zu diskutieren. Denn die dringendere Entscheidung muss innerhalb deiner nächsten fünfzig Atemzüge fallen.«
»Was?« Gariath hätte seine Augenwülste fast verknotet. »Was für eine Entscheidung?«
»Ob du dich bewegst oder nicht. Fünfundvierzig Atemzüge.«
»Was, wie ... bewegen? Noch mehr philosophisches Geschwätz?«
»Unmittelbarer. Zweiundvierzig Atemzüge.«
»Warum zweiundvierzig?«
»Die Flut kommt in zwanzig Atemzügen, ich brauche weitere fünfzehn Atemzüge, um dir alles zu erzählen, und die Akaneed, von der bekannt ist, dass sie sich bis zu sechsundzwanzig Schritte weit auf einen Strand schleudern kann, um ihre Beute zu fangen, hat seit etwa fünf Atemzügen auf die zuvor erwähnte Flutwelle gewartet, was dir noch...«, der Ältere warf einen Blick über die Schulter, »zwei Atemzüge lässt.«
Es dauerte jedoch nur einen Atemzug, bis das Wasser in einer gewaltigen blauen Wand aufstieg, durch welche das glühende Auge der Akaneed ein goldenes Loch zu bohren schien. Ihr Maul war weit aufgerissen, als sie auf den Strand schoss, mit einem Brüllen, das salzige Gischt zwischen Reihen nadelscharfer Zähne presste, durch die flüssige Barriere brach.
Gariath brauchte einen weiteren Atemzug, um einen gewaltigen Satz zurückzumachen, als diese großen Zähne zu einem Wall aus funkelndem Weiß zusammenschnappten. Ein tiefes Wehklagen gurgelte aus der Kehle der Akaneed, als sie den Drachenmann verfluchte, wie sie jedes andere Lebewesen verflucht hätte, das eine faire Abmachung platzen ließ. Fauchend wand sie sich auf dem Sand und manövrierte ihren gewaltigen Körper zurück in die Brandung.
»Oh.« Der Ältere kommentierte den sichtlichen Schrecken des jüngeren Drachenmannes mit einer erhobenen Augenwulst. »Du bist ja zur Seite gesprungen. Vielleicht war es ja nur ein Reflex. Falls du immer noch sterben möchtest, wird es der Akaneed sicherlich keine allzu große Mühe bereiten, ein zweites Mal anzugreifen.«
Gariath betrachtete den Geist durch zusammengezogene Augenlider. Der Ältere erwiderte den Blick gleichgültig und ungerührt. Er faltete seine Schwingen auf dem Rücken und hob seinen Schädel mit dem einen Horn. Seine schwarzen Augen schimmerten hart wie Felsbrocken.
»Triff deine Entscheidung, Weisester.«
Das tat Gariath, begleitet von einem lauten Schnauben und dem dumpfen Klacken, mit dem sich Klauen in Holz gruben.
Seine Muskeln zitterten, als sie in seinen Armen zum Leben erwachten wie gewaltige Bestien, die aus dem Winterschlaf erwachten. Der Treibholzstamm war lang und schwer, klammerte sich an die Erde. Aber Gariath riss ihn heraus und übergab ihn dann seinem Schicksal.
Sein Brüllen stand dem der Akaneed in nichts nach und war ebenso laut wie das schrille Pfeifen, mit dem das Holz durch die Luft flog. Beides verstummte, als ein gewaltiger Kiefer brach, Zähne herausflogen und auf der Erde landeten und ein schrilles Kreischen ertönte, das der Akaneed in den Ozean folgte. Blut spritzte aus ihrem Schlund, als sie unter den Wellen abtauchte, mit einem letzten finsteren und zyklopengleichen Blick auf den Drachenmann, bevor sie im endlosen Blau verschwand.
Als Gariath einmal durchatmete, wobei sich seine gewaltige Brust hob und senkte, durchströmte ihn ein Gefühl, das er schon seit Tagen nicht mehr empfunden hatte. Seine Hände, mit denen er das zerschmetterte Stück Holz hielt, zitterten, als hätten sie noch nie gespürt, wie das Leben sie durchströmte. Als er das Treibholz schließlich fallen ließ, spannten sich seine Arme an, sein Schweif zuckte ...
Sein Körper dürstete nach mehr.
Das bedeutet es? Er blickte auf seine Hände. Ein Rhega zu sein? Noch mehr Tod? Mehr Gewalt? So fühlt es sich an, lebendig zu sein?
»Das ist nicht die Antwort, nach der du gesucht hast,
Weitere Kostenlose Bücher