Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
den Anblick der Kreatur auf, als sie aus der Dunkelheit glitt. Verwelkte Brüste hingen von einem knochigen Brustkorb herab, während sie mit hageren Armen den Rest ihres Körpers voranzog. Anstelle von Beinen hatte sie einen langen, aalartigen Schwanz.
Erst als sie ganz durch den Spalt gekommen war, als Denaos ihr Gesicht richtig erkennen konnte, durchströmte ihn Furcht. Doch in dem Moment, als er ihr Gesicht erblickte, war er wie erstarrt. In den knochigen Kiefern unter den faustgroßen Augen reihten sich Zähne wie gebogene Nadeln. Die Kiefer klafften auseinander und enthüllten den Blick auf einen weiteren Mund, einen Mund mit weichen weiblichen Lippen, voll und schimmernd, die sich zuckend bewegten.
Sie flüsterten.
»Sie kommt, Kind«, gurgelte das Abysmyth, dessen Stimme zunehmend schwächer wurde. »Sie kommt, um dich zu befreien... du kannst dich nicht verstecken ...«
Denaos war gänzlich anderer Ansicht.
Vielleicht liebte Silf ihn tatsächlich genug, um in diesem Moment die Wolken vor den Mond zu schieben, die den Hof in Dunkelheit tauchten. Vielleicht war es auch einfach nur pures Glück. Jedenfalls hatte Denaos nicht vor, es zu hinterfragen. Er warf sich zu Boden und kauerte sich hinter eine besonders große Leiche einer besonders gut gepanzerten Niederling.
Dann riskierte er einen Blick über seine Deckung aus Fleisch und Eisen und sah diese Kreatur, diese Sermonika,
die sich mühsam über den Hof schleppte. Ihre leeren Augen glitten durch den Nebel, während ihre äußeren Kiefer klapperten; die Zähne, die gegen die Kieferknochen schlugen, erzeugten ein durchdringendes Geräusch. Gleichzeitig flüsterten diese weichen und weiblichen Lippen hinter den spitzen Zähnen Laute, die sich von sinnlosem Geplapper in scharfe, spitze Dolche veränderten.
Weißwodubistweißwodubistweißwodubist ...
Er konnte das Flüstern jetzt sehr genau verstehen, spürte, wie es sein ganzes Wesen durchdrang. Der Impuls zu schreien wurde immer stärker; er erstickte fast daran. Er wandte seinen Blick ab, konnte jedoch seine Ohren nicht schützen, selbst als er seine Hände daraufpresste.
Wobistduwobistduwobistdu ... kommrauskommrauskommraus ...
Er presste sich eng an den Boden und spürte, wie das Licht der blauen Laterne über ihn hinwegglitt. Die Kreatur klapperte vor Wut mit den Zähnen. Er hörte, wie ihre Klauen sich in den Boden gruben und das gewaltige Gewicht über den Hof zogen.
Er wagte es, den Kopf zu heben. Die Kreatur kroch weiter über den Hof, zwischen den Leichen hindurch, und warf ihr Licht über den Nebel. Die Schleimspur hinter ihr schimmerte in demselben blauen Licht, wie das, das die Laterne an der Spitze ihres Stängels ausstrahlte.
Hördichhördichhördich ... lautegedankenlautegedanken ... kennedeinegedankenkennedeinegedanken ...
Das Flüstern fühlte sich an wie Sand, der auf seinen Schädel rieselte, und hallte in seinem Verstand wider. Er spürte, wie sein Hirn darunter zuckte, als würden die Klauen der Kreatur ihrem Flüstern folgen und an jedem Gedanken in seinem Kopf zupfen wie an den Saiten einer Harfe.
Trauertrauertrauer ... Hasshasshass ...
Das Ungeheuer drehte seinen Kopf herum, und in dem Licht der Laterne schimmerten seine inneren Lippen mit einem morbiden Lächeln.
Messermesser ... düsterdüsterdüster ... Schreieschreieschreie ...
Er blinzelte, und erneut blitzten die Bilder hinter seinen Augen auf. Jedes Flüstern schien auf seine Lider gemalt zu sein, er sah, wie das Messer herabsauste, und erblickte eine rote Blüte.
Blutblutblut ... soVlELblutblut...
Er zwang sich dazu, die Augen zu öffnen, und sah, wie die Kreatur ihren massigen Körper mühsam herumwuchtete. Er nutzte die Möglichkeit, kroch von einem Leichnam zum anderen, glitt geduckt durch den Nebel. Er kam nicht auf die Idee, nach seinem Dolch zu greifen; die Kreatur zu attackieren war gar nicht seine Absicht. Er wollte nur flüchten.
Er entdeckte eine Bresche in der Mauer neben ihm. Du kannst es schaffen, dachte er; er konnte hindurchschlüpfen und im Unterholz verschwinden. Wenn die Kreatur ihn jetzt nicht sah, würde sie ihn im Wald ganz bestimmt nicht finden. Und war er erst einmal da, konnte er es bis zum Strand schaffen, konnte er entfliehen.
Er brauchte nur zu dieser Bresche zu gelangen ...
Hastsiegetötetsiegetötetsiegetötet ...
Er erstarrte.
Hastzugesehenwiesiestarbsiestarbsiestarb ...
Er musste kämpfen, um die Augen offen zu halten.
Armesmädchen ...
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