Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
»Nähere dich mir. Meine Zeit endet, doch mein Dienst dauert an. Ich kann dich retten. Ich kann dich von deinen Qualen befreien.«
Denaos trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er den schimmernden, erstickenden Schleim sah, der aus der Klaue troff. Er hatte gesehen, wie Männer an diesem Schleim gestorben waren, wie sie auf dem Trockenen ertranken, einem Massengrab übergeben wurden, während ihre Füße noch den Sand berührten.
»Ich habe bereits einen Gott«, sagte er. »Bedaure.«
»Gott? Gott?«, brüllte das Abysmyth. In der Wunde auf seiner Brust zischte dieses ätzende grüne Gift, das auch die Klinge überzog. Das hatte er ebenfalls schon einmal gesehen, und er wusste, was das Zeug mit den Dämonen anstellte. »Du hast gar nichts! Deine Götter kümmern sich nicht um dich! Sie sind taub für dein Flehen! Sie sind blind für dein Leiden! Für mein Leiden.«
Die Kreatur hob den Blick auf einen der riesigen steinernen Monolithen.
»Wir erinnern uns. Wir erinnern uns, wie sie sich auf uns stürzten, in Stein gehauen ebenso gleichgültig wie im Himmel. Die Sterblichen haben zu ihnen gebetet, obwohl wir diejenigen waren, die sie beschützt haben, die sie retteten. Und jetzt verspotten sie dich, Kind, vollkommen gleichgültig, noch während sie mich auslöschen.«
»Die Statuen... töten euch?«
»Sie erinnern uns nur«, erwiderte das Abysmyth, »so wie sie auch dich an deine eigene Ohnmacht erinnern werden. Sie rauben unsere Kraft. Sie nehmen uns unsere Gläubigen. Es ist die Art der Götter zu nehmen.«
»Ich weiß nicht«, gab Denaos zurück. »Ich habe gesehen, was dieses Gift mit dir anstellt. Du bist so gut wie tot, und du kannst mich nicht erreichen. Für meinen Geschmack machen die Götter ihre Sache ganz gut.«
»Beschützen sie dich denn auch vor dem Flüstern, mein Kind?«
Er erstarrte und blickte den Dämon scharf an. Soweit er wusste, waren diese Monstrositäten nicht in der Lage zu lächeln, ganz zu schweigen davon, selbstzufrieden zu grinsen. Aber in der Dunkelheit sah es so aus, als würde dieses Ding genau das versuchen.
»Kümmert es sie, dass du Qualen leidest? Verschonen sie deine suchenden Augen mit den Visionen deiner Schande? Behüten sie deine Gedanken vor den Sünden, die unmittelbar darunter lauern?«
»Halt’s Maul!«, flüsterte Denaos.
»Ich sage nur die Wahrheit. Die Sermonika spricht nichts als die Wahrheit. Finde Erlösung in ihrem Flüstern.«
»Halt dein Maul!«, schnarrte er und trat einen Schritt zurück.
»Wohin willst du fliehen, Kind?«, krächzte das Abysmyth. »Wo willst du dich verstecken? Es gibt keine Dunkelheit, die schwärzer wäre als die deiner Seele. Sie wird dich finden. Sie wird zu dir sprechen. Du wirst sie hören. Du wirst voller Freude sein.«
Er beschloss, dieser Monstrosität nicht weiter zuzuhören, beschloss zu verschwinden. Er sollte eigentlich weglaufen, sich vor ihr verbergen. Und vor ihr. Er machte einen weiteren Schritt zurück, nachdem er noch einen vielsagenden boshaften Blick auf die Wunde des sterbenden Dämons geworfen hatte. Er drehte sich um.
Sie stand vor ihm, und er blickte direkt in ihr Lächeln.
In beide aufgerissenen Schlünde.
»Nicht schreien«, flüsterte sie.
Denaos dachte gar nicht daran, ihr zu gehorchen.
Sein Entsetzen hallte laut über den Hof, wurde von jedem Stein, von jedem Leichnam zurückgeworfen und klang so klar wie eine Glocke. Die Frau war verschwunden, aber das Geräusch blieb. Und in seinem Kielwasser zog mit dem Nebel dichtes Schweigen auf. Die Welt war still.
Und er konnte das Flüstern hören.
Hördichhördichhördich. Es ertönte in seinem Kopf. Kommekommekommekomme ...
Am äußersten Ende des Hofes sah er eine Bresche in der Mauer, in der ein schwaches blaues Licht schimmerte. Es pulsierte, wurde heller, nahm ab und zu wie ein eisiges, schlagendes Herz, das immer kräftiger wurde, je näher es kam. Er hielt den Atem an und starrte auf das Licht, als es durch die Bresche glitt.
Und dann erblickte er das Ungeheuer, das dieses Licht ausstrahlte.
Zuerst sah er nur den Kopf: eine geschwollene, zitternde Kugel aus grauem Fleisch, die sich dem Himmel entgegenreckte. Schwarze Augen schimmerten wie die verhüllte sternenlose Leere, in die sie blickten. Aus einer feucht glänzenden Stirn wuchs ein langer Stängel aus Knorpel, der scheinbar ziellos vor der Kreatur baumelte und in einem fleischigen Beutel endete, aus dem das pulsierende blaue Licht strahlte.
Sein gnadenloser Schein zwang ihm
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