Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
er kannte. Kein Fleisch, keine Knochen, keine Furcht und keine Heuchelei. Also waren keine Menschen in der Nähe.
Aber irgendetwas war in der Nähe.
Etwas Nicht-Menschliches.
Es sprach nichts dagegen, diesem Geruch zu folgen, sagte er sich, und wenn er dadurch aus diesem Korallenlabyrinth herauskam, umso besser. Also folgte er der Witterung, bahnte sich vorsichtig den Weg zwischen den scharfen Korallen, ging zwischen Fischschwärmen hindurch, die durch den Skelettwald schwammen, und zwängte sich durch den Kelp, der ihm im Weg war.
Der Wald öffnete sich um ihn herum, die Korallen wurden spärlicher, der Sand unter seinen Füßen verschwand und wich Stein. Vor ihm verlief eine Straße. Irgendwo in der merkwürdigen Luft nahm er eine schwache Witterung auf. Eine Witterung, die fast vertraut war, aber zu flüchtig. Er schnaubte; es war schwierig, hier etwas zu wittern. Die Luft war viel zu dick, als dass Gerüche sie hätten durchdringen können.
Was allerdings keine Rolle spielte.
Die Straße vor ihm erstreckte sich in beide Richtungen. Und der Anblick, der sich ihm bot, war ausgesprochen interessant.
Niederlinge.
Tote Niederlinge.
Sie säumten die Straße wie Fahnen, schwebten auf beiden Seiten in der Luft, am Boden gehalten von langen Bändern, die um ihre Handgelenke befestigt waren. Sie wogten mit einer grässlichen Gelassenheit, die in krassem Widerspruch zu dem Zustand ihrer Leichen stand.
Jede der Niederlinge wies eine beeindruckende Anzahl von Wunden auf: Löcher von Pfeilen, klaffende Schnitte, Prellungen, die so dunkel waren, dass sie selbst ihr purpurnes Fleisch schwarz färbten, dazu Schädel, die zertrümmert oder in Stücke gehauen waren, sowie einige, die man nur als höchst kunstfertig mürbe geklopft bezeichnen konnte. Die Mienen, die sie im Tode zur Schau trugen, waren undurchdringlich, hauptsächlich deshalb, weil ihre Gesichter zumeist zerschmettert waren. Aber keine Niederling machte den Eindruck, als wäre sie kampflos gestorben.
Das ist das Werk von Shen.
Zugegeben, er wusste nicht viel über die Shen. Nicht annähernd genug jedenfalls, um ihre Handschrift zu erkennen. Aber es gab nur wenig andere Möglichkeiten. Wer sonst hätte sich die Mühe gemacht, tote Niederlinge festzubinden? Außerdem, wenn er zugab, dass er nicht viel über die Shen wusste, räumte er damit gleichzeitig ein, dass Lenk zumindest teilweise recht hatte.
Bei diesem Gedanken wurde ihm übel, etwas, was selbst der Anblick der Leichen nicht bewirkt hatte.
Einige waren bereits lange tot und teilweise verwest; ihr Fleisch war vom Körper gerissen und gab die Knochen frei. Andere Leichen waren frischer, von Prellungen und tiefen Wunden übersät. Und etliche Leichen waren noch frischer, wie Gariath bemerkte, als er aus den Augenwinkeln das Rot und Purpur aufblitzen sah.
Ihr Blut sickerte aus ihren Körpern, jedoch nicht in Strömen, sondern in einer Wolke, die wie roter Löwenzahn über dem Band schwebte, das die in der Luft wogenden Niederlinge festhielt. Fische zuckten durch diese rote Wolke. Dunkle Schatten mit dunklen Flossen und glasigen Augen, die nichts reflektierten; sie packten Stücke des purpurnen Fleisches mit den Kiefern, schüttelten heftig den Kopf und schlangen die Brocken hinunter, bevor sie zurückschwammen, um einen weiteren Bissen zu nehmen. Mindestens ein Dutzend Haie hielt hier ein Festmahl ab, ohne darauf zu achten, ob sie in Eisen, Fleisch oder Knochen bissen.
Da Gariath aus einer Art Fleisch bestand, das vermutlich nicht so leicht zu verdauen war wie das der toten Frauen, zeigten die Haifische ebenso wenig Interesse an dem Drachenmann wie er an ihnen. Er blickte die Straße entlang zu dem fernen Berg. Wenn die Shen irgendwo waren, dann dort. Warum sonst würden sie sich die Mühe machen, so viele Warnzeichen aufzuhängen?
Aber er ging trotzdem keinen Schritt vorwärts.
Das konnte er auch nicht, solange ihm jemand folgte.
»Bringen wir es hinter uns«, seufzte er. »Ich kann dich riechen. Ich habe dich gerochen, seit ich hergekommen bin. Ich habe dich schon auf Teji gewittert.«
Sein Blick schweifte über den Horizont, aber der Baldachin aus scharfen Korallen und der wogende Kelp enthüllten nichts als dicke Luft und leeren Himmel.
»Gut, ich weiß nicht, wo genau du dich versteckst. Um das zu wittern, ist die Luft zu dick. Aber du kannst genauso gut herauskommen.«
Er streckte die Hände zu beiden Seiten aus und deutete auf die endlose Straße, die einen glatten steinernen Pfad
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