Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
kann sie hören. Manchmal ist es auch anders herum. Sie … sie rufen.
Vielleicht sind sie wie wir, verlorene Geister im Nebel, aus einer Zeit, lange bevor sich aus Lauten eine Sprache entwickelt hatte. Sie versuchen vielleicht immer noch, einen Ausweg zu finden.
Vielleicht sollte ich mich glücklich schätzen, dass ich erst einen Tag herumgeirrt bin.
Oder sind es zwei Tage? Es ist schwer, die Zeit zu verfolgen, wenn man nicht schläft, wenn es keine Sonne gibt und wenn man unablässig fürchtet, im Schlaf aufgeschlitzt zu werden.
Ich sollte Kataria fragen.
Ich sollte Kataria fragen, wenn sie aufwacht.
Ich sollte Kataria jetzt umbringen.
Jetzt wäre es einfach. Sie kann sich nicht wehren, sie kann mich nicht ansehen, sie kann nicht …
Das Denken fällt mir schwer.
Und ich kann an nichts anderes denken.
So etwas machen Stimmen im Kopf für gewöhnlich: Sie sorgen dafür, dass man nur noch zu einem einzigen Gedanken fähig ist. Und ich kann nichts dagegen tun, dass ich wütend auf sie bin. Als würde ich ihr wehtun wollen. Was ich tun sollte. Wie es mir die Stimme einredet.
Doch sie redet es mir gar nicht ein. Sie bedroht mich nicht. Sie verlangt nicht, dass ich irgendetwas tue. Sie redet nur …
Sie redet über diese Nacht auf dem Schiff. Sie redet davon, wie Kataria mir in die Augen geblickt und mich dem Tod überlassen hat. Alles andere kommt von mir.
Ich war schon nahe dran. Ich hatte mein Schwert schon erhoben. Ich habe gesehen, wie meine Hände um ihren Hals lagen. Aber jedes Mal, wenn ich das tue, fällt mir wieder ein, warum ich habe weinen wollen, und ich denke …
… es muss einen anderen Grund geben. Warum hat sie mich im Stich gelassen? Ich habe sie niemals gefragt. Ich habe versucht, nicht darüber nachzudenken. Sie hat es mir niemals erklärt. Sie hat mir in die Augen gesehen. Und mich dem Tod überlassen.
Ich kann mich daran erinnern, wie traurig sie ausgesehen hat.
Und ich erinnere mich auch an die Frau aus meinen Träumen, die mir sagt, dass es nicht aufhört, wenn ich sie töte. Sie sagt mir, dass ich nicht auf die Stimme hören darf. In diesem Moment fängt die Stimme immer an zu kreischen. Dann redet sie nicht mehr, sie schreit. Sie erzählt mir alles über sie, was sie getan hat, was ich tun muss. Und ich erinnere mich immer noch an die Frau, und ich erinnere mich immer noch an Kataria, und ich will immer noch weinen und sterben und töten und kämpfen und ertrinken und schlafen und niemals wieder denken müssen.
… wie gesagt, ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Jedenfalls nicht zu viel.
Sie muss jetzt erst einmal weiterleben. Sie versteht sich auf Spurensuche und hat ein Gespür dafür, uns hier weg und nach Jaga zu bringen, zu der Fibel. Die Fibel, die wir wiederfinden müssen. Die Fibel, die ich auf Geheiß der Stimme wiederfinden soll.
Nein.
Die ich finden will.
Ich.
Glaube ich.
Es ist zu schwierig nachzudenken.
Es ist zu schwierig, Kataria zu töten.
Ich hätte zuerst Asper töten sollen.
Das wäre einfacher gewesen.
11
SCHLAF JETZT, ABER NICHT ZU FEST
Er hatte gerade die Augen geschlossen, als er den Geruch wahrnahm. Es roch nach Seide und Orchideen, nach Parfüm für wohlhabende Frauen, das vergeblich versuchte, das natürliche Aroma von Weiblichkeit zu unterdrücken. Sterne. Kerzenwachs. Violetter Himmel.
Er wollte schlafen.
Seine Augenlider zitterten, als er ihre Stimme hörte.
»Nein, nein«, flüsterte sie. Ein leises Kichern untermalte ihre Worte. »Nicht.«
»Was?«, fragte er.
»Mach deine Augen nicht auf.«
»Warum nicht?«
»Weil die Welt hässlich ist«, antwortete sie. »Gedanken sind wunderschön. Woran auch immer du im Augenblick denkst, es ist unendlich viel schöner als alles, was dich erwartet, wenn du die Augen aufschlägst.«
»Und wenn ich an etwas Hässliches denke?«
»Woran denkst du denn?«
An dich, dachte er. Daran, wie sehr ich dich vermisse. Was für ein Leben ich geführt habe, wodurch ich nicht mit dir zusammen sein konnte. Ob ich mich die ganze Zeit geirrt habe und es doch Götter gibt und Seelen und meine auf ewig umherwandern wird, wenn ich schließlich sterbe, weit weg von deinen Armen, und wie viel mehr mich diese Tatsache ängstigt als alle anderen. Immer nur du.
»An nichts«, antwortete er.
»Einfach an nichts?«
»Nichts ist einfach.«
»Genau«, antwortete sie. »Und weil nichts einfach ist, ist auch das Nichts schön. Es gibt nichts Schöneres. Deshalb musst du deine Augen geschlossen lassen und dich
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