Die Tortenbäckerin
Zumutung empfand, die gleiche Luft wie die Dienerschafteinzuatmen. Er sah durch Greta hindurch und fixierte seinen Bruder.
»Mutter wird gleich die Neuigkeit bekanntgeben. Meinst du nicht, du solltest dabei sein?«
Noch eine Neuigkeit, dachte Greta, wurde aber gleich wieder abgelenkt, weil Meinhard sie nun doch ansah, wie ein Forscher, der ein ekliges Insekt betrachtete.
Wenn du wüsstest, dachte sie plötzlich böse. Wenn du wüsstest, dass nicht alle Männer in deiner feinen Familie mich eklig finden. Dass nicht nur Christoph mich begehrt, dass ein anderer sich nahm, was ich nicht geben wollte. Sie öffnete schon den Mund, um trotzig die Wahrheit herauszuschreien, aber ihre Scham und Schüchternheit waren gröÃer, und sie biss die Zähne aufeinander, bis sie knirschten.
Meinhard schien einen Moment verwirrt, dann packte er Christoph am Arm und schleppte ihn einfach mit. Greta blieb noch einen Moment sitzen, kämpfte um ihre Fassung, trank einen Schluck Wasser. Wenig später schlich sie sich zurück in die Küche, wo ihre Tante in gröÃter Sorge auf sie wartete und wo die Küchenmädchen vor Neugierde noch röter als sonst im Gesicht waren.
Greta wollte nur noch heimgehen, schlafen und diesen schrecklichen Tag vergessen. Ich werde es überstehen, dachte sie. Irgendwie. Ein Jahr geht schnell vorbei, und dann beginnt ein neues Leben. Sie fasste wieder Mut. Das Schlimmste ist jetzt überstanden, glaubte Greta. Sie sollte sich täuschen.
4
S iggo und seine Schleswiger hatten es nicht mehr weit bis nach Hause. Sie mussten nur noch in die GroÃe RosenstraÃe einbiegen, den Gählersplatz überqueren und dann in Richtung GeorgstraÃe fahren. Siggo pfiff einen Gassenhauer, er war bester Stimmung. Von nun an würde es mit dem Fuhrunternehmen Freesen wieder aufwärtsgehen, etwas anderes kam gar nicht in Frage. Die Kälte war jetzt schneidend geworden, und nur wenige Menschen hielten sich noch im Freien auf. Aber an der Haltestelle für die Pferdeomnibusse herrschte reger Betrieb. Ein Omnibus war gerade angekommen, ein anderer fuhr ab. Leute stiegen ein und aus, andere warteten auf den nächsten. Siggo schärfte seine Aufmerksamkeit und nahm die Fahrleine fester in die Hand. Ein paar Kinder wuselten viel zu dicht um die hohen, eisenbeschlagenen Räder seines Pritschenwagens herum. Sie spielten Fangen und achteten nicht auf die Gefahr.
»Fort mit euch!«, rief er und scheuchte sie mit der freien Hand weg. Zwei Jungen zeigten ihm eine lange Nase, sprangen aber gerade noch rechtzeitig zurück auf den Bürgersteig, bevor sie von den schweren Rädern zermalmt werden konnten.
Plötzlich hörte Siggo einen spitzen Schrei und fuhr herum. Für einen Moment hatte er nicht nach vorn gesehen.Alles Blut wich aus seinem Gesicht, und einen Augenblick lang war er wie gelähmt. Direkt vor Maxens riesigen Hufen hockte eine junge Frau und starrte verwirrt hoch. Auf den ersten Blick hatte er sie für ein halbwüchsiges Mädchen gehalten, aber dann erkannte er die fraulichen Formen unter ihrer Kleidung. Vermutlich war sie von der Menschenmenge abgedrängt worden und hatte dann den Halt verloren. Max war stehen geblieben, denn kein Pferd trat jemals freiwillig auf einen Menschen, aber Moritz zog weiter an, und so herrschte ein gefährliches Gleichgewicht der Kräfte. Das alte, morsche Leder zwischen ihnen knirschte, die junge Frau rührte sich nicht.
Nach Sekundenbruchteilen kam wieder Leben in Siggo. Mit einer einzigen flieÃenden Bewegung glitt er vom Bock, war mit zwei langen Schritten vorn bei Moritz und packte ihn an der Trense. Sofort hörte das Pferd auf zu ziehen, die Spannung im Zuggeschirr lieà nach. Max, der sich tapfer nicht von der Stelle gerührt hatte, schnaubte, und es klang beinahe erleichtert.
Siggo reichte der Frau seine freie Hand, um ihr aufzuhelfen. Sie schaute ihn noch immer aus erschrockenen blauen Augen an, die im schwachen Licht der StraÃenlaternen grau wie das Kopfsteinpflaster schimmerten. Für einen Moment vergaà Siggo, wo er sich befand. Die Augen schienen viel zu groà für ihr schmales Gesicht. Sie blickten ernst und auf seltsame Weise traurig. Kaum dass seine Hand die ihre ergriff, spürte er ein Brennen auf der Haut. Es fühlte sich an wie letzte Woche, als er aus Versehen beim Beschlagen der Pferde ein noch glühend heiÃes Hufeisen angefasst hatte. Beinahe wäre er
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