Die Tortenbäckerin
schwachen Licht der Gaslaternen fiel es ihr leichter zu sprechen, als vorhin in der groÃen warmen Küche in Harvestehude ihrer Tante Mathilde zu erklären, warum sie nicht aufhören konnte zu weinen.
»Nein ⦠ja.«
Ein Blick streifte sie, tief und unergründlich. »Sie wissen es nicht?«
»Doch, schon. Ich liebe ihn, aber es darf nicht sein. Wir stammen aus zwei verschiedenen Welten«, wiederholte siedie Worte, die ihre besorgte Tante erst vor zwei Stunden benutzt hatte.
»Verstehe. Der junge Herr des Hauses hat sich mit dem Dienstmädchen einen Spaà erlaubt.«
Greta begriff nicht, warum dieser Siggo plötzlich so wütend war, und sie erwiderte kühl: »Erstens bin ich kein Dienstmädchen, sondern Köchin, und zweitens ist Christoph ein guter Mensch. Er würde niemals mit meinen Gefühlen spielen. Und eines Tages wird er heimkehren aus Afrika.«
»Afrika?«, wiederholte Siggo verblüfft.
»Ganz genau. Christoph ist Bankier und hat in Deutsch-Ostafrika eine wichtige Aufgabe zu erledigen.«
»Soll er den Negern das kleine Einmaleins beibringen?« Er stieà einen Laut aus, der irgendwo zwischen Knurren und Lachen lag. Dann fuhr er fort: »Und wenn der feine Herr das erledigt hat, wird er heimkehren, alle gesellschaftlichen Schranken vergessen, in die Küche seiner Frau Mutter eilen und Sie vom Herd weg heiraten!«
Greta wollte zornig aufstehen, aber Siggos starke Hand hielt sie zurück. »Nicht dass Sie mir jetzt auch noch vom Kutschbock fallen. Bitte verzeihen Sie meine Worte. Es steht mir nicht zu, Sie zu beurteilen.«
Ihre Wut verrauchte, und sie betrachtete Siggo zum ersten Mal genauer. Er trug keinen Bart, nicht einmal einen kleinen Schnauzer, was auf rührende Weise altmodisch wirkte. Seine Gesichtszüge aber waren stark und geradlinig, und sein breites Kinn verriet seine Willenskraft. Nur die hellen Augen blickten unstet, aber vielleicht täuschte sie sich im schwachen Licht des Abends. Einen Moment lang glaubte Greta, in Siggo das verlorene Gesicht ihresVaters wiedergefunden zu haben. Aber dann schüttelte sie den Kopf. Das konnte nur eine Wunschvorstellung sein, weil sie sich heute so allein und unbeschützt fühlte.
»Ich arbeite nicht mehr bei Familie Hansen«, sagte sie in die entstandene Stille hinein. »Ich war ja dort nur Lehrlingsmädchen und dann Gehilfin meiner Tante Mathilde. Nun bin ich entlassen worden. Da zwei Söhne fortgehen, braucht man mich nicht mehr.«
Die ganze Wahrheit war eine andere, aber das ging den fremden jungen Mann neben ihr nichts an.
Sie wickelte sich fester in ihr wollenes Umschlagtuch und starrte auf die breiten Pferdekruppen, die sich im gleichen Takt hoben und senkten.
Siggo neben ihr sagte nichts mehr, und so verbrachten sie den Rest der Fahrt schweigend. Erst als er die Pferde vor ihrem Haus durchparierte, sah er sie wieder an. »Dann suchen Sie jetzt eine andere Stellung?«
Greta nickte, obwohl sie selbst noch gar nicht so weit gedacht hatte. Ihre Welt war in Stücke gebrochen. Wie sollte sie da schon neue Pläne schmieden? AuÃerdem hatte sie schreckliche Angst davor, sich bei fremden Menschen vorstellen zu müssen.
Aber dann fiel ihr die Mutter ein, die schon seit Wochen von einem bösen Husten geplagt wurde. Greta war entschlossen, endlich einen Arzt kommen zu lassen, obwohl Tante Mathilde behauptete, das sei rausgeworfenes Geld. Mit ihren speziellen Kräutertees und den Senfumschlägen habe sie die kränkliche Schwägerin noch immer kuriert, und das werde ihr auch diesmal gelingen.
Viola jedoch hörte einfach nicht auf zu husten, und mit jedem Tag schien sie weniger zu werden. Wer sollte denArzt bezahlen, wenn Greta nicht arbeitete? Wer würde für die Miete aufkommen und die Kohlelieferung für den Winter? Tante Mathilde hatte schon so viel für sie getan. Es wäre nicht recht, sie wieder um Hilfe zu bitten. Und dann war doch noch diese andere Ausgabe, die jeden Monat pünktlich beglichen werden musste und von der niemand etwas wusste, auÃer sie selbst und Christoph Hansen.
So hob sie den Blick und sagte mit leichtem Zittern in der Stimme: »Ja, das tue ich. Gleich morgen früh werde ich mir Arbeit suchen.«
Wieder spürte sie die Kraft in seinen Armen, als er sie nun vom Kutschbock herunterhob.
»Das gefällt mir«, sagte er mit rauer Stimme. »Sie sind eine Kämpferin.«
»Eine
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