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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Janson
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Kämpferin«, wiederholte sie überrascht. Auf diese Weise hatte sie sich selbst noch nie gesehen. Sie war doch nur die schüchterne, zu klein geratene Greta, auf der andere Leute nach Belieben herumtrampeln durften.
    Aber es war genau dieses Wort, das ihr half, den folgenden Abend und die Nacht zu überstehen – erst die geflüsterten, sorgenvollen Fragen ihrer Mutter, die sich wunderte, weil Greta früher als sonst heimkam; dann die langen, einsamen Stunden in ihrem schmalen, klammen Bett, als der Schlaf sie nicht erlösen wollte und das geliebte Gesicht Christophs von der Zimmerdecke auf sie herabblickte.
    Mit rotgeränderten Augen bemerkte Greta irgendwann, dass ein neuer Morgen heranbrach. Fahles Licht stahl sich ins Zimmer, tastete die Waschkommode, den schmalen Schrank und schließlich den hölzernen Bettrahmen ab.Greta stand auf und spritzte sich kaltes Wasser aus dem Krug ins Gesicht. Dann öffnete sie die Fensterläden und sah hinaus. Ein dichter grauer Schleier lag über der Georgstraße, aus der Ferne drangen die Nebelhörner der Schiffe herüber. Greta versuchte, bis zum Ende der Straße zu schauen. Dort hatte Fuhrunternehmer Freesen seinen Stall. Unzählige Male war sie daran schon vorbeigelaufen, nie hatte sie mehr als einen flüchtigen Blick darauf geworfen. Nun verschluckte der dichte Nebel alle Konturen. Kurz versuchte sie, sich an das Antlitz ihres Retters zu erinnern, doch es verschwamm zu einem nichtssagenden Grau.
    Â»Greta!«, rief die energische Stimme ihrer Tante Mathilde. »Bist du endlich auf?«
    Vom nahen Turm der Johanniskirche schlug die Glocke gerade sechs Uhr. Greta beeilte sich, in ihr Kleid vom Vortag zu schlüpfen. Sie verzichtete wie gewöhnlich auf ein Korsett. An ihrer schmalen Taille gab es nichts zu schnüren. Mit wenigen Bürstenstrichen glättete sie ihr rotbraunes Haar und steckte es dann hoch.
    Kurz darauf fand Greta ihre Tante in der Stube. Mathilde Voss lebte in einer eigenen winzigen Wohnung direkt unter Greta und ihrer Mutter Viola. Sie hatte das selbst so bestimmt, nachdem die Familie von der Lohmühlenstraße in die Georgstraße umziehen musste. »Die Wohnungen hier sind einfach zu klein für uns drei«, hatte sie zu Greta gesagt, aber Greta vermutete, dass mehr dahintersteckte: Mathilde war es nach all den Jahren einfach leid, wie eine geduldete Besucherin auf dem Sofa zu schlafen. Sie wollte ihr eigenes bescheidenes Reich. Das war ein weiterer Schritt in ihre ungewöhnliche Unabhängigkeit, für die sie von Anfang an auch bei ihrer Herrschaft im vornehmenHamburger Stadtteil Harvestehude gekämpft hatte. Die Bankiersfamilie Hansen hatte zunächst gegen das ungebührliche Ansinnen protestiert. Wo käme man hin, wenn die eigene Köchin nicht zusammen mit dem übrigen Dienstpersonal im Dachgeschoss wohnte? Aber Mathildes Kochkünste und ihre Drohung, woanders eine Stellung zu suchen, hatte die Hansens schließlich klein beigeben lassen.
    Greta bewunderte ihre Tante für deren freien und starken Geist und wünschte sich auf einmal sehnlichst, etwas von ihrer Kraft zu besitzen. Wie hatte Siggo gestern Abend gesagt? Eine Kämpferin. Unwillkürlich straffte sie die schmalen Schultern und betrat die Stube.
    Der Raum maß kaum zwei mal drei Meter und war der danebenliegenden Kammer ihrer Mutter durch einen schweren Vorhang abgetrotzt worden. Viola Voss hatte auf eine gute Stube bestanden. Obwohl sie schon immer kränklich gewesen war, hatte sie Wert auf ein gewisses Niveau gelegt. In der Stube wollte sie ihre guten Tage im Sessel verbringen und auf die Straße hinunterschauen. Doch seit Ende des Sommers gab es kaum noch gute Tage für sie, und meist lag sie nur erschöpft von den vielen Hustenanfällen und nach Atem ringend in ihrem Bett. Greta starrte lange auf den Sessel, in den sich niemand sonst setzte, nicht sie selbst, nicht ihre Tante, keiner der seltenen Besucher.
    Mathilde Voss fing ihren Blick auf. »War es das wert?«
    Â»Was meinst du?«, fragte Greta, obwohl sie ahnte, was kommen würde.
    Â»Wegen deiner dummen Schwärmerei hast du eine Stellung verloren, bei der du fünf Reichsmark in der Woche verdient hast. Zwei, manchmal sogar drei Mark konntest du sparen. Ich frage dich noch mal: War es das wert?«
    Â»Nein«, murmelte Greta. Dass sie diese zwei bis drei Mark nicht gespart hatte, dass sie keinerlei Reserven besaß,

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