Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
vor die Tür, seit es Saskia so schlecht ging.«
»Und wie geht’s der Kleinen jetzt?«
Für wenige Augenblicke wich die Kälte aus Andresens Augen, seine Lippen wurden weich, und die Hände zitterten hilflos. »Immer noch schlecht. Wie soll ich ihr sagen, was mit ihrer Mutter geschehen ist?«
»Und wer wird mit ihr nach Boston fliegen?«, fügte Sören hinzu.
»Ich natürlich«, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück. »Sobald die Ärzte grünes Licht geben. Und wenn ich den Laden während dieser Zeit schließen muss! Egal!«
Erik betrachtete einen Augenblick sein entschlossenes Gesicht, dann fragte er: »Hatte Ihre Frau Feinde?«
Andresen streifte unverzüglich alles wieder ab, was ihn für Augenblicke verletzlich gemacht hatte. »Nein, warum sollte sie Feinde haben?« Dann wurde seine Stimme nachgiebiger. »Was wusste ich eigentlich von Ulla? Unser Zusammenleben wurde nur noch von Saskias Krankheit bestimmt.«
»Würden Sie sagen, dass Sie trotzdem eine gute Ehe geführt haben?« Als Andresen schwieg, fragte Erik weiter: »Könnte es sein, dass sich Ihre Frau auf diesem Parkplatz mit einem Liebhaber verabredet hatte?«
Erik erwartete eine barsche Reaktion, doch Andresen schüttelte den Kopf, ohne sich über die Tollkühnheit der Frage zu ereifern. »Ulla hatte ja gar keine Gelegenheit, einen Mann kennen zu lernen. Außer …« Er starrte eine Weile auf das Muster des Teppichs, stellte dann seine Füße mitten in ein Quadrat und fuhr fort: »… außer vielleicht in der Therapiegruppe. Bis vor kurzem hat sie einmal wöchentlich eine Therapiegruppe in Flensburg besucht. Aber von den Leuten, die sie dort kennen gelernt hat, sprach sie wenig. Also, wenn überhaupt …« Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern ließ ihn durch den Raum schweben, als hoffte er, dass er sich darin auflösen würde.
»Das Auto, in dem Ihre Frau gefunden wurde, war ein grüner Mazda«, stellte Erik fest.
»Ullas Wagen«, bekräftigte Andresen. »Sie wollte ihn unbedingt behalten, obwohl sie ihn nur selten brauchte. Aber sie war nicht bereit, ihn zu verkaufen. Na ja, viel hätte er sowieso nicht gebracht. Er war ja schon dreizehn Jahre alt.«
»Wo waren Sie heute Abend zwischen halb sieben und sieben?«
Nun standen plötzlich Schweißperlen auf Andresens Stirn. »Ich brauche ein Alibi? Sie glauben doch nicht etwa …«
»Reine Routine. Solche Fragen müssen wir stellen.«
Wolf Andresen gab vor, sich die Antwort zu überlegen, aber Erik spürte, dass er damit nur zeigen wollte, wie abwegig und überflüssig ihm die Frage erschien. »Ich habe um sechs den Laden abgeschlossen«, begann er. »In der Vorsaison lohnen sich längere Ladenöffnungszeiten nicht. Dann wollte ich mir eigentlich die Vorabendserie ansehen, die ich ungern versäume. Aber dann fiel mir ein, dass Ulla und ich morgen einen Termin bei Dr. Hold in der Nordseeklinik haben. Bis morgen früh, hat Dr. Hold gesagt, liegen vielleicht neue Untersuchungsergebnisse vor. Mein Auslieferer hat versprochen, den Laden zu übernehmen, aber er hat morgen Vormittag zwei Lieferungen. Und weitere könnten schließlich jederzeit hinzukommen. Ja, und da fiel mir meine neue Aushilfe ein. Sie wissen doch …«
»Die Italienerin, die die köstlichen Vorspeisen herstellt«, nickte Erik.
»Haben Sie Ihrer Schwiegermutter eigentlich von Signora Rocchi erzählt?«
Erik sah betreten auf seine Füße. »Das habe ich glatt vergessen. Aber ich werde es nachholen, versprochen.«
Andresen winkte großzügig ab. »Die Signora versteht eine Menge von Antipasti, aber wenig vom Geschäft. Doch sie ist eine patente Person. Deshalb wollte ich sie bitten, morgen früh schon gegen neun bei mir zu erscheinen. Ich traue ihr zu, den Laden für ein, zwei Stunden allein zu versorgen. Ich bin also nach Wenningstedt gefahren, um Signora Rocchi aufzusuchen. Um kurz nach sechs. Ich wusste, dass sie im Dünenhof zum Kronprinzen wohnt, das hatte sie mir erzählt. Aber leider hatte ich keine Ahnung, wie der Besitzer der Ferienwohnung heißt, die sie gemietet hat. Der Hausmeister war nicht zu Hause, deshalb habe ich einfach dort geklingelt, wo Licht brannte, und nach Signora Rocchi gefragt. Aber niemand kannte sie.« Er hob die Schultern. »Kein Wunder eigentlich, in diesen großen Apartmenthäusern kennt ein Feriengast den anderen nicht.«
Ohne lange überlegen zu müssen, konnte Andresen die Wohnungen nennen, in denen er Licht gesehen hatte. »In der dritten Etage rechts habe ich geklingelt,
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