Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
früheren Kollegen der Firma Kern keiner auf seine Briefe geantwortet hat. Ist damit das Unternehmen gemeint, das Christa Kerns Mann gehörte?«
Andresen zuckte zusammen. »Keine Ahnung! Ich wusste nicht, wo Jens Gühlich arbeitete. Ich habe ihn nie kennen gelernt. Als Ulla und ich heirateten, war er schon inhaftiert.«
»Wissen Sie, was das für eine Firma war, die Christa Kerns Mann gehörte?«
»Er hatte irgendwas mit Autos zu tun, das hat sie mir erzählt«, gab Andresen zögernd zurück. »Ich glaube, er hatte einen Kfz-Handel.«
»Wo?«
»Wahrscheinlich in Dortmund. Dort hat Christa Kern ja gewohnt, bevor sie nach Sylt zog.«
Als Andresen die Treppe hinabstieg, rief Erik ihm nach: »Ist Signora Rocchi inzwischen gekommen? Dann schicken Sie sie bitte herauf.«
»Sie müsste eigentlich längst da sein«, rief Andresen zurück. »Aber bis jetzt ist sie nicht erschienen.«
Kurz darauf erschien Rudi Engdahl in der Tür. »Ich komme aus dem Dünenhof zum Kronprinzen.«
Erik erhob sich, zog Rudi Engdahl herein und schloss die Tür. Sören schob das Dachfenster auf, um mit frischer Luft den Platzmangel zu vertreiben.
»Was ist nun?«, fragte Erik. »Hat Andresen ein Alibi?«
Engdahl schüttelte den Kopf. »In den drei Wohnungen, in denen er nach Anna Rocchi gefragt hat, kann man sich zwar an ihn erinnern. Zwei der Befragten haben aber keine Ahnung mehr, um welche Zeit er bei ihnen geklingelt hat. Die haben Ferien, da guckt man nicht so oft auf die Uhr. Der Dritte sagt, es wäre schon beinahe halb acht gewesen. ›Das Quiz‹ mit Jörg Pilawa hätte schon begonnen. Er hat sich nämlich geärgert, dass er dabei gestört wurde.«
»Und wann beginnt ›Das Quiz‹?«, fragte Erik.
»Um zwanzig nach sieben«, erklärte Engdahl.
»Der Weg von Braderup nach Wenningstedt dauert nicht länger als zehn Minuten«, überlegte Erik. »Selbst wenn er vom Tatort erst zu seinem Auto laufen musste, brauchte er nicht länger als eine Viertelstunde. Allerhöchstens zwanzig Minuten. Nein, nein, ein Alibi ist das nicht.«
»Außerdem habe ich mit dem Hausmeister des Dünenhofs gesprochen«, fuhr Engdahl fort. »Er sagt, in dem Haus wohnt keine Italienerin von ungefähr fünfzig Jahren. Das wusste er ganz genau. Zwar besteht das Haus aus Eigentumswohnungen, die von ihren Besitzern selbst genutzt, aber auch vermietet werden. Der Hausmeister ist also nicht unbedingt darüber informiert, wer gerade ein Apartment bewohnt. Aber während der Vorsaison stehen ja die meisten leer. Zurzeit sind nicht einmal zehn bewohnt. Der Hausmeister hat schon jeden gesehen, der in diesen Tagen im Dünenhof wohnt. Und eine Frau, auf die Andresens Beschreibung passt, ist nicht dabei.«
»Seltsam.« Erik schüttelte den Kopf. »Man könnte meinen, diese Frau gibt es gar nicht.« Er nahm den Brief von Jens Gühlich an seine Cousine, steckte ihn ein und erhob sich. »Fragen wir mal Björn Mende. Wenn der die Frau auch noch nicht gesehen hat, halte ich sie für ein Phantom.«
Aber Björn bestätigte, bei Anna Rocchi handle es sich um eine Frau aus Fleisch und Blut. Dass sie im Dünenhof zum Kronprinzen völlig unbekannt war, erzeugte in Wolf Andresen einen geradezu hysterischen Ordnungswahn. Mit fliegenden Fingern schob er hin und her, was ihm in die Hände kam. Ärgerlich fragte Erik den Fischhändler: »Sie haben keine Erklärung dafür?«
»Nein, keine!«, stieß Andresen hervor. »Wahrscheinlich habe ich sie falsch verstanden, als sie mir ihre Adresse nannte.«
18
Der Himmel über dem Meer war hoch, sehr hoch. Klar war er nicht, keine Bläue wölbte sich über die See, nur ein nebelhaftes Dach, zu dünn, um Wolkendecke genannt zu werden. Mamma Carlotta seufzte. Nein, von Lucia war kein Fingerzeig zu erwarten. Musste sie Erik die Wahrheit gestehen? Ihm verraten, dass sie Anna Rocchi war, die sich bei Andresen eingeschlichen hatte? Weil sie nicht an unumstößliche Beweise und schon gar nicht an DNA -Tests glaubte? Wenn Erik sich an den Namen von Lucias Großmutter erinnern könnte, dann wäre sie sowieso längst entlarvt. Aber zum Glück hatten Männer ja ein anderes Gedächtnis als Frauen. Sie selbst hatte sich noch nach zwanzig Ehejahren an die Namen aller Hochzeitsgäste erinnert, die mit Dino verwandt waren, während er selbst Mühe hatte, sich die Namen ihrer Cousinen zu merken, die alle paar Wochen zu Besuch kamen.
Mamma Carlotta wandte dem Meer und dem Himmel tief deprimiert den Rücken zu, stieg die Holztreppe wieder hinauf und hielt
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