Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
als ein Auto. Und er könnte auf Wegen flüchten, die mit einem Auto nicht befahrbar sind.«
»Stimmt. Richten Sie Ihr Augenmerk also auch darauf. Vielleicht hat jemand einen Radfahrer gesehen, der es eilig hatte?« Erik wandte sich an Sören. »Sie kümmern sich um Jens Gühlich. Fragen Sie in der Haftanstalt nach, in der er eingesessen hat, wohin er entlassen wurde. Und erkundigen Sie sich auch bei der Firma Kern, ob man sich dort an ihn erinnert. Sehen Sie nach, ob es in Dortmund einen Kfz-Handel oder ein ähnliches Unternehmen mit dem Namen Kern gibt. Oder eine Firma, die früher Kern hieß.«
Als Dr. Hillmot den Raum betrat, winkte Erik ihn in sein Zimmer. »Wie sieht’s aus, Doktor? Wann kann ich die Ergebnisse der DNA -Analyse bekommen?«
Dr. Hillmot ließ sich schnaufend auf einen Stuhl sinken. »Schrecklich, diese Eile! Heute ist Freitag und morgen …«
»… ist Sonnabend, ich weiß. Aber kommen Sie mir nicht mit einem freien Wochenende!«
»Schon gut!« Dr. Hillmot winkte ab. »Zum Glück bin ich ja nicht verheiratet. Bei mir zu Hause gibt es niemanden, der Wert auf meine Gesellschaft legt. Allerdings auch niemanden, der mir was Leckeres kocht«, ergänzte er und sah aus dem Fenster, als machte er sich Gedanken über die Wetterlage.
Erik grinste. »Schon verstanden. Ich bin sicher, dass meine Schwiegermutter sich über Ihren Besuch freuen wird. Wenn Sie versprechen, morgen mit dem Ergebnis der DNA -Analyse am Süder Wung zu erscheinen, rufe ich sie sofort an, damit sie genug Zeit hat, sich ein Menü zu überlegen und dafür einzukaufen.«
»Das ist ein Wort!« Dr. Hillmot wuchtete sich von seinem Stuhl hoch. »Ich brauche heute Nacht fünf bis sechs Stunden Schlaf, die werden Sie mir hoffentlich zubilligen. Morgen Abend gegen sechs bin ich dann bei Ihnen und lege Ihnen die Ergebnisse neben die Pastateller.«
Er strich sich über den Bauch, als fühle er darin schon die Entfaltung der Ravioli, dann schickte er sich an, das Zimmer zu verlassen. Aber Erik hielt ihn zurück. »Eine Frage noch, Doktor …« Er wartete, bis Hillmot die Federn des Bürostuhls, die sich gerade von seinem Gewicht erholt hatten, erneut schikanierte. »Können Sie mir was über Zwangshandlungen erzählen?« Er berichtete Dr. Hillmot von Wolf Andresens befremdlichen Bemühungen um eine Ordnung, in der Symmetrie und Übereinstimmung von Linien wichtig waren.
»Eindeutig Zwangsstörungen«, stellte Dr. Hillmot fest, als Erik geendet hatte. »Die meisten Zwangshandlungen beziehen sich auf Reinlichkeit, übertriebene Ordnung oder wiederholte Kontrollen. Diesem Verhalten liegt eine tiefe Angst zugrunde.«
Erik dachte an das, was Sören bei ihrem ersten Besuch im Fischladen Andresens gesagt hatte. »Zwangsstörungen sind also wirklich Angststörungen?«
»Könnte man so sagen«, antwortet Dr. Hillmot. »Das zwanghafte Ritual ist der Versuch, eine Gefahr abzuwenden. Mit einer solchen Verhaltensweise will man gefürchteten Ereignissen vorbeugen, für Ordnung in seinem Leben sorgen, indem man die Gegenstände um sich herum in extremer Form ordnet. Der Zwangserkrankte hat dann das Gefühl, es könne nichts Bedrohliches geschehen.« Dr. Hillmot schien nun selbst Vergnügen an seinen Ausführungen zu finden. »Man unterscheidet verschiedene Zwänge, bei Wolf Andresen geht es eindeutig um einen Ordnungszwang. Er braucht ein festes Ordnungssystem zur Strukturierung seines Lebens und seiner Umwelt. Wenn seine Ordnung zerstört wird, wird ein Teil seines Lebens zerstört.« Die Federn des Bürostuhls wimmerten, als Dr. Hillmot sich vorbeugte. »Solche Menschen sind Neurotiker. Sie brauchen eine Psychotherapie.«
»Wie entstehen diese Zwangsstörungen?«
Dr. Hillmot lehnte sich wieder zurück. »Oft gibt es ein auslösendes Ereignis. Zum Beispiel könnte in der Kindheit die familiäre Situation in Unordnung geraten sein. Die Eltern lassen sich scheiden, oder die wirtschaftliche Situation der Familie verändert sich dramatisch, die Lebensumstände, die bis dahin sicher waren, werden unsicher, das Kind verliert sein Vertrauen in die Ordnung, die es bisher gestützt hat. Eine Zwangsstörung nennt man auch die Krankheit des Zweifels. Eine massive Unsicherheit bildet das Fundament der Zwangsstörung. Daraus resultieren Angst und Unruhe, was durch die Zwänge beseitigt werden soll.« Dr. Hillmot lächelte. »Irgendwelche leichten Zwänge haben wir alle. Denken Sie mal an das, was Sie tun, wenn Sie Ihre Pfeife stopfen. Sie tun es
Weitere Kostenlose Bücher