Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote am Watt

Die Tote am Watt

Titel: Die Tote am Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
bräunen zu lassen, vor der sich die Einheimischen schützten, so gut es ging.
    Schaudernd ging Mamma Carlotta bis zur Wasserkante, aber sie ertrug die graue Masse des Meeres nicht lange. Sie machte kehrt und war froh über den strahlend hellen Sand und die bunte Fahne, die im Wind knatterte.
    Das Ortsbild von List wurde von jeher von den Kasernen geprägt. Kein Wunder, List war ja erst im Rahmen der militärischen Aufrüstung entstanden. Aber für das düstere Ortsbild entschädigte die überwältigende Dünenlandschaft. Eigentlich fuhr Erik nie nach List, ohne nicht auch dem Königshafen einen kurzen Besuch abzustatten. Wenn möglich, einen längeren, um am Lister Hafen einen Matjes oder ein Krabbenbrot zu essen. Diesmal jedoch bog er vorher links ab. Sonst gab es ja auch nie eine Tote auf der Insel, deren gewaltsames Ende er aufzuklären hatte. Dazu passten weder Matjes noch Krabbenbrot.
    Bernadette Frenzels Haus stand in der Alten Dorfstraße. Ein grau verputzter Würfel mit einem schäbigen rostroten Dach, das hellrot gefleckt war von einzelnen neu eingesetzten Dachpfannen. Überall gab es diese stümperhaften Ausbesserungen: ein zugenageltes Dachbodenfester, hinter dem sich eine zerbrochene Scheibe verbarg, eine Regenrinne, die mit einem Schiffstau dort befestigt worden war, wo sie ohne Hilfe nicht bleiben wollte, Fensterläden, die nicht mehr geschlossen wurden, weil sie in verrosteten Scharnieren steckten.
    Während sie auf die Eingangstür zugingen, fragte Erik seinen Assistenten: »Sie weiß doch vom Tod ihrer Schwester?«
    Sören nickte, sein Apfelgesicht wirkte leicht verschrumpelt – wie immer, wenn er Aufgaben erfüllen musste, die er nicht liebte. »Die Lister Kollegen waren bei ihr. Und die haben auch unseren Besuch angekündigt.«
    Bernadette Frenzel öffnete schon die Tür, bevor Erik nach dem Klingelknopf gesucht hatte. »Die Kriminalpolizei?«, fragte sie spöttisch, als gehörten Erik und Sören zum fahrenden Volk und damit zu den wenigen Feriengästen, denen Bernadette nicht einmal in der Nachsaison ein Zimmer vermieten würde.
    Erik zog seinen Dienstausweis aus der Jackentasche. »Sie wissen, warum wir hier sind, Frau Frenzel?«
    Bernadette nickte und öffnete die Tür weiter. »Kommen Sie rein. Wollen Sie einen Tee?«
    »Nein, danke.«
    »Kommen Sie trotzdem in die Küche. Das Wohnzimmer ist nicht geheizt.«
    Sie nahm die Schürze ab, während sie ihnen voranging. Ihre kräftigen, derben Hände passten nicht zu ihrer schmalen Gestalt. Erik erinnerte sich daran, dass auch Christa Kern eine schlanke Figur gehabt hatte, aber darüber hinaus konnte er keine Ähnlichkeiten zwischen den Schwestern erkennen.
    Bernadette Frenzel bot Erik und Sören die beiden Küchenstühle an, sie selbst blieb stehen und lehnte sich an den Schrank. »Haben Sie ein Testament gefunden?«, fragte sie und musterte Eriks braune Cordhose und seinen geliebten Pullunder, als hätte sie von der Polizei etwas Besseres erwartet.
    Erik runzelte die Stirn. »Nein, haben wir nicht«, antwortete er. »Sind Sie die einzige Verwandte?«
    Bernadette Frenzel nickte. »Dann werde ich sie doch wohl beerben, oder?« Sie seufzte zufrieden auf. »Davon habe ich oft geträumt. Aber eigentlich war ich davon überzeugt, dass Christa mich überlebt. Sie war immer kerngesund, und außerdem hatte sie ja sowieso mehr Glück im Leben als ich. Ich war sicher, dass sie auch länger leben würde als ich.« Ein Lächeln zog über ihr Gesicht, das Erik regelrecht abstieß. »Jetzt bin ich an der Reihe. Ich könnte in ihr Haus ziehen und diese jämmerliche Bude verkaufen.«
    »Sie hatten kein gutes Verhältnis zu Ihrer Schwester?«
    Bernadette schüttelte den Kopf. »Wir haben uns schon als Kinder nicht verstanden.«
    »Aber trotzdem haben Sie Ihre Schwester regelmäßig besucht.«
    Bernadette zuckte die Schultern. »Nun, sie war ja meine Schwester …«
    »… und hat Sie gelegentlich unterstützt.«
    »Höchst selten! Sie ließ sich gern bitten, meine reizende Schwester! Sie genoss es, wenn jemand sie anbettelte. Und sie rückte erst dann ein paar Euro raus, wenn man sich lange genug erniedrigt hatte. Und immer etwas weniger, als man mindestens brauchte, um aus dem Schneider zu sein. Dabei hatte sie weiß Gott genug!«
    »Seit wann besaß Ihre Schwester das Haus in Kampen?«, fragte Sören.
    Bernadette überlegte kurz. »Seit ungefähr fünfzehn Jahren.« Sie dachte noch einmal intensiv nach. »Ja, fünfzehn Jahre! Christa machte ein einziges Mal

Weitere Kostenlose Bücher