Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Verhör mit nach Göteborg genommen, nicht ich.«
Hastig griff Folke nach dem Telefon und bat die Kollegen, einen Blick ins Melderegister zu werfen.
»Wer ist Marianne Ekstedt?«, fragte Karin.
»Sie betreibt dieses geistige Zentrum in Göteborg, verdammt. Massenhaft verrückte Kurse über Kristalle und anderen Quatsch. Robban und ich waren gemeinsam dort, aber Robban hat mit ihr gesprochen. Dass ich das nicht sofort bemerkt habe, als ich den Bericht las! … Ja?«, fragteFolke in den Hörer. »Das stimmt. Danke.« Er legte auf. »Sie ist es tatsächlich. Ich glaube, wir sollten uns nicht auf ihren Mann konzentrieren, sondern auf sie.«
Åkerström, Trollhättan, Herbst 2008
Es war einer von Kristians wenigen ärztlichen Hausbesuchen gewesen, nur wenige Wochen, nachdem er und Marianne Asko zu der Hypnose gedrängt hatten. Die Adresse gehörte eigentlich gar nicht zu seinem Bezirk, aber er hatte gerade Notdienst, und die Leute hatten keinen anderen Arzt erreicht. Im Nachhinein würde er denken, dass es keine Zufälle gab.
Die Bezirkskrankenschwester hatte ihn nach erstem Zögern zu dem Hof begleitet.
»Eastwick«, hatte sie gemurmelt und nervös gelacht. »Entschuldige, das war blöd ausgedrückt. Ich mag diesen Ort nicht. Das Grundstück liegt auf einer Lehmschicht, die jederzeit nachgeben kann. Ich verstehe nicht, wie man dort wohnen kann. Irgendwann im siebzehnten Jahrhundert hat ein Erdrutsch Äcker, Wiesen, Häuser und eine ganze Hochzeitsgesellschaft mit sich gerissen. Daraufhin staute sich der Fluss und verursachte eine Überschwemmung, die noch mehr Höfe wegspülte. Fast hundert Menschen kamen dabei ums Leben. Im Lehm findet man immer noch Überreste.«
»Aber du hast doch Eastwick gesagt?«, fragte Kristian.
»Die Leute waren damals unheimlich abergläubisch. Man glaubte, der Erdrutsch sei von einer Zauberin hervorgerufen worden, der man den Zugang zum Hof verweigert hatte. Seitdem haben sich am Fluss natürlich
mehrere Erdrutsche ereignet, aber hier ist mir die Gefahr immer besonders bewusst.«
»Interessant.« Kristian bog links in einen Schotterweg ab, der vor einem Haus endete. Er parkte auf dem Hof und betrachtete den Fluss, der sich in etwa hundert Meter Entfernung geruhsam durch die Landschaft schlängelte. Schön sah das aus.
Der Ort kam ihm seltsam bekannt vor. Im Wohnhaus lebte eine ältere Frau. Die Nebengebäude waren in keinem guten Zustand, und das Dach der Scheune schien jeden Augenblick einstürzen zu wollen. Neben den Steinstufen, die zur Eingangstür führten, standen verblühte Stockrosen. Trotz der Kälte wuchs dort ein üppiges Basilikum.
Die Frau saß in einem Schaukelstuhl. Der Tisch
war zugestellt mit schmutzigen Tellern und Töpfen voller eingetrockneter Essensreste. Am meisten faszinierte ihn jedoch der Baum auf dem Tuch an der
Wand. Stumm betrachtete er die Verästelungen und
Wurzeln. In kräftigen Farben stellten sie den Weg dar,
den die Sippe von längst vergangenen Tagen bis heute genommen hatte. Neben jedem Zweig standen ein Name und zwei Daten, die manchmal sogar zusammenfielen.
Geburt und Tod. Er betrachtete Hjördis’ Linie und alle
weiteren Verästelungen. Ihr wachsamer Blick ruhte
auf ihm.
»Wer bist du?« Sie zeigte mit einem knochigen Finger
auf ihn.
»Ich bin Arzt. Ich bin hier, um die Wurzel des Übels
zu finden.« Er warf wieder einen Blick auf den Baum an
der Wand.
»Ich komme allein zurecht«, sagte die Alte irritiert.
»In ein Heim gehe ich nicht.«
»Vielleicht gibt es Möglichkeiten, die Wohnung an
deine Bedürfnisse anzupassen. Ich werde mich ein bisschen umsehen.«
Die Bezirkskrankenschwester sah ihn verwundert
an. Normalerweise hatte nicht der Arzt zu entscheiden,
ob die Patienten zu Hause bleiben durften, damit hatte
sich bereits ein Pflegegutachter befasst. Die Frau konnte
nicht mehr alleine wohnen. Auf dem Weg zum Hof
hatte die Bezirkskrankenschwester ihm erklärt, dass
der Pflegedienst bereits da gewesen war, die alte Frau
aber jede Hilfe ablehnte. Nun war die Situation unhaltbar.
Kristian ging in den Flur. Tatsächlich entdeckte er
dort die Tür. Der Schlüssel fühlte sich kalt an, als er
ihn im Schloss umdrehte. Es roch muffig, und aus der
Dunkelheit kam ihm ein kalter Luftzug entgegen. Er
tastete nach dem Schalter und machte das Licht an. An
der Decke hing eine nackte Glühbirne. Er war gerade
unten angekommen, als die Tür zufiel und das Licht
ausgeschaltet wurde.
Während der wenigen Minuten im Dunkeln passierte etwas. Etwas, das
Weitere Kostenlose Bücher