Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Augen schließe, meine ich, das alles vor mir zu sehen. Dieser Ort hat eine ganz besondere Atmosphäre. In den letzten Jahren habe ich begriffen, was deine Mutter meinte, als sie sagte, sie habe sich hier nie willkommen gefühlt.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie es so empfunden hat«, sagte Kristian.
»Sie mochte diesen Ort nie, aber ich konnte mir nicht vorstellen, von hier wegzuziehen. Es war, als würde Nygård einen Keil zwischen uns treiben, als schlage es sie in die Flucht und hielte mich fest. Ich hätte mir wohl mehr Mühe geben können, aber dann kam alles so, wie es kam.« Schweigend ging er zurück zu dem alten Friedhof und öffnete die Eisenpforte. »Eines schönen Tages werde ich selbst hier ruhen. Das ist ein gutes Gefühl.«
In den Laubkronen über ihnen raschelte der Wind. Torsten zeigte ihnen ein Grab nach dem anderen. »Sie sind alle hier, aber das Schöne ist, dass sie in dem Haus da drüben wahrscheinlich noch präsenter sind.« Er deutete auf Nygård.
Asko betrachtete die Grabsteine, besonders die ältesten, die auf der Erde lagen und das ganze Grab abdeckten. Das Moos hatte die Namen der verstorbenen Verwandten in die Vertiefungen im Stein geschrieben.
»Ich hoffe, dass du jemanden findest, der sich vorstellen kann, hier zu leben, Kristian. Einen Menschen, der diesen Ort nicht … feindselig und unheimlich findet.«
»Keine Sorge, Papa«, sagte Kristian.
»Ich nehme an, hier kommt nicht jeder rein«, sagte Carsten zum Sicherheitsbeauftragten des Stadtmuseums.
»Das stimmt, aber es ist trotzdem ein Gegenstand verlorengegangen. Unfassbar. Ich gehe nächstes Jahr in Pension, aber das hier ist mir noch nie passiert.« Er seufzte tief und zeigte auf die Stahltüren. »Um deine Frage zu beantworten, wer hier reingelassen wird: Grundsätzlich bekommt man nur dann Zugang zum Magazin, wenn man einen besonderen Grund hat. Wenn man sich etwas Bestimmtes ansehen möchte, muss man rechtzeitig anfragen und sein Ansinnen gut begründen. Das Stück aus der Sammlung wird einem dann von einem Sammlungsleiter in einem Vorführraum gezeigt. Wir erheben in solchen Fällen eine Gebühr.«
»Wer hat außer den Mitarbeitern hier Zutritt?«
»Handwerker. Wir hatten zum Beispiel einen Wasserrohrbruch und brauchten einen Klempner. Diese Firma werden wir übrigens nicht mehr beschäftigen, aber das isteine andere Geschichte. Menschen von der Sicherheitsfirma oder vom Brandschutz. Ansonsten Studenten, die sich zum Archivar, Konservator, Historiker oder Ethnologen ausbilden lassen. Manchmal kommt jemand, der ein Buch oder einen Artikel schreibt. Natürlich haben wir auch Besuch von Forschern, Vereinen und hin und wieder von ganz gewöhnlichen Interessierten. Ab und zu machen wir in bestimmten Sammlungen sogar Führungen. Das sind sogenannte Themenführungen.«
»Themenführungen?«
»Im Frühjahr hatten wir ›Braut im Frühling‹, da haben wir Brautkleider aus verschiedenen Epochen gezeigt. ›Best of Bronzezeit‹ kam auch gut an.«
»Hattet ihr schon mal eine Führung, in der dieses Henkersschwert gezeigt wurde?«
»Das wage ich mit Entschiedenheit zu verneinen. Unsere Waffen zeigen wir bei den Führungen nie. Es sei denn, jemand hat eine gezielte Anfrage gestellt. Aber auch dann würde die betreffende Person nie hier hereinkommen, sondern nur in einen unserer Vorführräume.«
»Wie ist es deiner Ansicht nach zu dem Diebstahl gekommen?«
»Das weiß ich wirklich nicht. Es könnte höchstens irgendwie intern passiert sein, aber auch das kann ich mir nicht vorstellen. Alle, die hier arbeiten, sind sehr besorgt um die Stücke. Manchmal sind die Mitarbeiter zwar so fasziniert von einem Gegenstand, dass sie die Vorsichtsmaßnahmen vergessen, aber, nein, ich glaube nicht, dass einer unserer Angestellten involviert ist.«
Carsten überlegte eine Weile.
»Gibt es ein Verzeichnis der Personen, die hierherkommen, um sich etwas anzusehen?«
»Natürlich. Über jeden Besucher wird Buch geführt. Mails und Briefe werden dokumentiert. Auch die Telefonate.Wir haben hier eine äußerst fleißige neue Angestellte. Maja heißt sie. Rede mit ihr.«
»Bevor man hier reinkommt, stellt man also eine Anfrage und begründet, warum man sich einen bestimmten Gegenstand ansehen möchte«, wiederholte Carsten, um sicher zu gehen, dass er das Ganze richtig verstanden hatte.
»Man muss den Grund nicht unbedingt angeben, aber die meisten Leute tun das. Sie erzählen, warum sie sich dafür interessieren. Anschließend
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