Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
hatten sie irgendwo draußen einen Schlüssel liegen? Entweder in einem schlechten Versteck, oder derjenige, der ins Haus eingedrungen ist, kannte es.«
»Ich sehe mir die Tür mal an. Das hätte ich auch gemacht, wenn du nichts gesagt hättest. Du hältst das vielleicht nicht für möglich, aber wir haben nicht nur Checklisten, sondern auch eine Ausbildung. Wusstest du nicht, was? Die schnappen sich nicht einfach irgendwelche Leute von der Straße und bezeichnen sie als Kriminaltechniker …«
Karin grinste.
»Entschuldige, Jerker. Ich möchte einfach überall gleichzeitig sein, um dieser Person das Handwerk zu legen. Und dann kam KG, und ich bin mir unsicher, ob er alles mitbekommt.«
»Da bist du dir unsicher?«
»Nein, im Gegenteil, ich bin mir sicher, dass er nicht alles mitkriegt, und das bedrückt mich enorm. Ich habe mir einen Überblick verschafft, aber wir dürfen nichts übersehen.«
»Ich werde die Augen besonders offen halten.«
»Danke, Jerker. Ach, ich habe übrigens mein Diktiergerät auf dem Küchentisch vergessen …«
»Vergessen?«, lachte Jerker. »Ich kümmere mich darum, wenn ich gehe.«
Nachdenklich ging Karin die Treppe hinunter und hielt auf dem Kies vor dem Haus inne. War ihr etwas entgangen? Hatte sie etwas übersehen? Sie musste alles noch einmal durchgehen und Einzelheiten mit wachem Blick auf sich wirken lassen. Sie hätte eine Nacht darüber schlafen und sich erst am nächsten Morgen damit befassen sollen, aber sie spürte, dass sie es jetzt sofort tun wollte. Irgendetwas war diesmal anders. Dass sich die Frau nicht im Freien befand, war das eine, aber dazu kam, dass Opfer und Täter offenbar ein Glas Wein zusammen getrunken hatten. Hatten sie sich gekannt?
Rosenlund, Marstrand, Spätsommer 2008
Die Jahre waren vergangen. Die Mädchen kamen auf die Welt und wurden viel zu schnell groß. Aina und Birger waren oft zu Besuch in Göteborg, um die Kinder zu hüten. Solange sie den Hof noch hatten, kamen die Kinder auch oft zu ihnen nach Eriksberg.
Am Ende aber wurde die Hofarbeit zu schwer für das Paar. Eriksberg wurde verkauft, und stattdessen kauften sie einen Kilometer entfernt die alte Villa im Rosenlund. Hier wollten sie ihren Lebensabend verbringen. Und so kam es auch. Marianne stellte Birger frische Blumen ins Zimmer, reinigte die Luft von verbrauchter Energie und bereitete den Übergang vor, wie sie sich ausdrückte.
Asko verbrachte seine gesamte freie Zeit mit Birger. Behutsam hob er ihn in den Rollstuhl und schob ihn
über die Gartenwege, damit er sich an den Blumen erfreuen konnte.
In Birgers letzter Woche nahm Asko sich frei. Aina, Asko und die Mädchen saßen an Birgers Bett, als er einschlief. Seine letzten Worte würde Asko nie vergessen: »Mein geliebter Sohn. Ich bin dir so unendlich dankbar.« Dann schloss er die Augen.
Asko saß noch lange im Schlafzimmer des alten Mannes und hielt seine Hand genau so, wie Birger vor langer Zeit seine gehalten hatte, als Asko im Krankenbett gelegen hatte.
Nach der Beerdigung machte Asko einen gefassten Eindruck. Niemand hätte ahnen können, welche Abgründe sich in ihm öffnen würden.
Obwohl sich alle bemühten, Aina auf jede erdenkliche Weise aufzumuntern, baute sie zusehends ab.
»Ich habe so ein wunderbares Leben gehabt«, und während sie das sagte, lächelten sogar ihre Augen. »Schöner, als ich je zu hoffen gewagt hätte.«
Als Asko an diesem Sonntagmorgen mit dem Frühstückstablett in Ainas Zimmer kam und die alte Frau in der Nacht für immer eingeschlafen war, stürzte seine Welt ein. Nur vier Monate nach Birgers Tod wurde auch Aina in dem Familiengrab auf Koön beerdigt, das Asko ausgewählt hatte. Mit leerem Blick stand er da, während der Sarg in der Erde versenkt wurde, legte Blumen auf das Grab und strich mit der Hand über den kalten Stein.
An diesem Abend erfuhren seine Töchter zum ersten Mal die ganze Wahrheit über die Kindheit ihres Vaters. Voller Entsetzen hörten sie zu. Agneta, die älteste Tochter, die gerade ihr erstes Kind erwartete, übergab sich mitten ins Zimmer.
»Wie?«, begann sie. »Du hast im Keller gelebt, während die anderen oben wohnten? Ich verstehe das einfach nicht.«
»Liebes«, sagte Marianne im Versuch, sie zu trösten, »das tut keiner von uns.«
Asko saß immer noch im schwarzen Anzug und mit dem weißen Schlips von der Beerdigung da, war ganz grau im Gesicht und schwieg.
»Nein«, sagte er nur. »Das tut keiner von uns. Man kann es einfach nicht
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