Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
verstehen.«
Vor dem Fenster wurde es dunkel, aber Asko blieb im Ohrensessel sitzen.
Marianne nahm die Mädchen mit aus dem Zimmer und ließ ihm seine Ruhe.
»Aber«, fuhr Agneta fort, »lebt sie denn noch? Wo ist sie denn heute?«
»Papa möchte das alles hinter sich lassen. Er will nicht, dass wir nach ihr suchen.« Marianne sah Agneta an.
»Aber du sagst doch immer, man soll nichts mit sich herumtragen, was einen belastet und einem die Energie raubt, Mama.«
»Stimmt, aber nicht in diesem Fall. Ich möchte, dass ihr den Wunsch eures Vaters respektiert, das Vergangene ruhen zu lassen.«
Die Mädchen sahen sich an.
Als Marianne am nächsten Morgen hinunterkam, um Frühstück zu machen, saß Asko noch immer in dem Sessel.
»Liebster«, sagte sie. »Hast du etwa die ganze Nacht hier gesessen? Hast du nicht geschlafen?«
Asko antwortete nicht, sondern starrte bloß die beiden Gegenstände auf seinem Schoß an. Einen rostigen Gartenspaten und einen Schraubenzieher ohne Schaft.
Eine Woche später rief eine verzweifelte Marianne bei Kristian an und erzählte ihm, dass Asko in einem schlimmeren Zustand war als je zuvor.
»Er ist wie ein schwarzes Loch. Ich glaube, seine Kindheit kommt mit voller Wucht wieder hoch. All die Erinnerungen, die er verdrängt hatte.«
»Was sagt er selbst dazu?«
»Seine einzige Antwort lautet: ›Es geht mir gut.‹ Aber das stimmt ja nicht. Es geht ihm überhaupt nicht gut.«
»Ich komme«, sagte Kristian.
13
»Wie fühlst du dich nach dem gestrigen Tag?«, fragte Tomas Sara beim Frühstück.
»Etwas schlapp, aber ansonsten gut. Danke, dass ich ausschlafen durfte.«
Sara hatte nicht gut einschlafen können, weil sie nach der Führung am Vortag so aufgedreht gewesen war. Am Ende hatte sie eine Tablette genommen, und als ihr Körper sich gegen vier Uhr morgens endlich entspannt hatte, war sie in einen richtigen Tiefschlaf gefallen. Tomas hatte das Frühstück gemacht und sich um die Kinder gekümmert. Nun war es neun Uhr, und obwohl sie weniger geschlafen hatte als sonst, war sie erstaunlich ausgeruht.
»Es hat richtig Spaß gemacht. Die Leute waren wirklich interessiert, und ich glaube, es hat ihnen gefallen, durch die Gassen zu spazieren. Ich fand es phantastisch, ihnen von früher zu erzählen.« Tomas nickte. Sara hatte ihm das Material gezeigt, als sie nach Hause gekommen war, hatte ihm von den Orten berichtet und die alten Schwarzweißbilder aus den Plastikhüllen gezogen. Für einen kurzen Moment hatte er wieder dieses Funkeln in ihren Augen gesehen, das schon so lange verschwunden war.
»Dein Material ist tierisch gut!«
Er hatte schweigend zugehört, wie Sara das Leben in alten Zeiten und die spannende Geschichte schilderte, die Marstrandsön und die umliegenden Inseln umgab.
»Das ist für dich, Mama.« Linus reichte Sara ein rotes Geschenkband.
»Danke. Wie hübsch. Was ist das denn?« Zerstreut griff sie nach dem Band.
»Das ist von Papa und von uns. Geh doch mal nachgucken.«
»Was?«, fragte Sara.
»Ich habe etwas gekauft«, sagte Tomas.
»Für mich?«
»Folg dem Band, Mama«, drängte Linus.
»Schuhe«, sagte Linnéa.
»Soll ich nach draußen gehen?«, fragte Sara erstaunt.
Linnéa nickte nur, wortkarg wie sie war. Linus lächelte.
»Du wirst schon sehen«, sagte er mit feinsinniger Miene.
Sara folgte dem Band, das tatsächlich unter der Haustür hindurchlief. Sie zog sich die Jacke und ein Paar Schuhe an und trat in der Schlafanzughose vors Haus. Das Band führte von der Treppe über den Weg, an den Himbeerbüschen vorbei und bis zum Parkplatz. Linus und Linnéa hopsten erst hinter ihr her und dann voraus.
»Hier drüben!«, rief Linus.
Sara bog um die Ecke und betrachtete das flache Paket, das an der Hauswand lehnte. Es war sorgsam in Luftpolsterfolie eingepackt und mit einer roten Schnur umwickelt.
»Was ist denn das?«, fragte Sara. Tomas öffnete die Verpackung mit einem Messer und enthüllte den Inhalt.
»Ein Whiteboard, nur in fröhlicheren Farben. Dann hast du es leichter, wenn du etwas ändern möchtest.« Lächelnd reichte er ihr eine Schachtel mit verschiedenen Stiften und einem Schwamm.
Sara wischte sich die Tränen ab, die ihr über die Wangen kullerten, und dachte verwundert, dass Tomas offenbar mehr begriff, als sie ahnte. Dass er sah, was sie da zu tun versuchte.
»Bist du traurig, Mama?«, fragte Linus. »Gefällt dir das Geschenk nicht?«
»Doch«, sagte Sara. »Ich weine, weil ich so gerührt bin. Das ist das Schönste,
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