Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
müsste.
Karin stellte fest, dass sie am Pontonsteg von Koön einen guten Platz gefunden hatte. Sie hatte sich zuerst an die Außenseite des Stegs gepresst, dann aber beschlossen, das Boot so zu platzieren, dass der Wind die
Andante
von vorn und nicht von der Seite traf. Nun war das Boot auf beiden Seiten fest an einem Ausleger aus Metall vertäut. Vier Stunden später ertönte draußen im Marstrander Fjord das Tosen der sich brechenden Wellen, und der Wind wurde noch stärker. Karin schaffte es gerade noch, die Persenning einzuholen, die als Regenschutz über ihrem Cockpit diente, als der Schauer anfing.
»Zuerst kommt der Wind, dann der Regen«, sagte sie zu sich selbst. Meistens stimmte das. Drei Minuten später brach das Unwetter über Marstrand herein. Die Regentropfen prasselten auf das graugestrichene Stahldeck und wuschen das Salz ab. Sie hatte die Heizung eingeschaltet, es sich im Schein der Petroleumlampe auf einer der Bänke bequem gemacht und beobachtete nun die Wasserlache, die sich auf der durchsichtigen Luke über ihrem Kopf bildete. Als die
Andante
eine weiche Verbeugung machte, leerte sich die Pfütze, um sich kurz darauf erneut zu füllen. Blitze schlitzten mit ihrem grellen Licht den Nachthimmel auf, und der Donner grollte. Es war herrlich, bei diesem Sauwetter nicht draußen sein zu müssen. Der Teekesselgab ein Pfeifen von sich. Das Wasser kochte. Während sie einen Teebeutel in die Tasse legte und nach Milch und Honig Ausschau hielt, ahnte sie noch nicht, dass wenige Kilometer entfernt im selben Augenblick ein Polizeiauto zu der großen Villa im Rosenlund unterwegs war. Ihr Handy klingelte in dem Moment, als sie den ersten Bissen von ihrem Toast nahm.
Die Frau lag in einem Kreis aus Grablichtern. Karin meinte sich zu erinnern, dass diese ziemlich lange brennen konnten, ungefähr eine Woche oder so. Die Lampen flackerten kurz, und dann war der Strom wieder da. Erst jetzt sah man, dass die weiße Haut blaurote Leichenflecke aufwies. Die Nase fehlte, und das Blut hatte einen dunklen Fleck auf dem Holzboden hinterlassen. Sie griff nach der Digitalkamera und knipste vier Bilder von der Türschwelle aus. Schwere Vorhänge mit Blumenmuster hingen vor den hohen Fenstern. Sie wurden von Kordeln mit goldenen Troddeln gehalten, die ihnen einen eleganten Fall verliehen. Auf einem dunklen Holztisch mit helleren Intarsien standen eine Weinflasche und zwei Gläser. Abdrücke, dachte Karin und ließ ihren Blick weiterschweifen. Sie achtete auf jeden Schritt und war sorgsam darauf bedacht, nichts anzufassen, bevor die Kriminaltechniker eintrafen.
»In der Küche«, sagte einer der Männer aus dem Streifenwagen, bevor sie danach fragen konnte. »Asko Ekstedt und Kristian Wester. Asko ist der Besitzer des Hauses.«
»Gut. Danke.« Karin ging in die Küche. Dort saßen zwei Männer am Tisch. Der eine in Jogginghose und mit einem Handtuch um den Hals auf der Küchenbank. Der andere hatte die gefalteten Hände auf den Tisch gelegt und saß auf einem Stuhl. Er trug ein weißes Hemd und eine Anzughose und stand auf, als Karin den Raum betrat.
»Asko Ekstedt.« Sein Gesicht war vollkommen farblos, aber sein Händedruck war fest und warm. Angestrengt deutete Asko auf den anderen Mann. »Mein guter Freund und Betriebsarzt Kristian Wester.« Dann sank er wieder auf den Stuhl.
»Hallo.« Der Arzt reichte ihr die Hand.
»Karin Adler, Kripo Göteborg.« Sie nahm auf einem der Stühle neben Asko Platz und aktivierte ihren Sony M-Bird, eine Kombination aus Diktiergerät, Radio und MP3-Player.
»Erzähl mal«, sagte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Aufnahmefunktion eingeschaltet war.
Asko begann seinen Bericht. Vorsichtig tastend und mit bebender Stimme beschrieb er, wie sie vor dem Regen geflüchtet waren. Vom Bootshaus in die Villa.
»Ist das hier dein fester Wohnsitz?«, fragte sie.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Und eigentlich hatte ich wie alle anderen auch in der Villa Maritime übernachten wollen, aber dann habe ich es mir im letzten Moment anders überlegt.«
»Bist du aus Göteborg hierhergekommen?«, fragte Karin und sparte sich die Frage, wer die anderen waren und was sie in der Villa Maritime machten, für später auf.
»Nein, von Marstrandsön, wo unsere Firma an diesem Wochenende ein Kick-off-Meeting veranstaltet. Wir haben die Villa Maritime gemietet, das ist ein Hotel. Wir hatten dort heute ein Abendessen.« Karin nickte und notierte sich einige Stichpunkte,
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