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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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danach, einfach wegzulaufen. Seine Hand zu nehmen, wäre zu dreist gewesen, aber ich hatte das Gefühl, er müsse ermutigt werden. Ich schloß die Finger um sein Handgelenk.
    »Was? Was konnte denn so schlimm sein? Kommen Sie, ich war auch ehrlich zu Ihnen.«
    Er kämpfte mit etwas. Ich wartete, spürte, wie sein Puls unter meinen Fingerspitzen pochte. Als er schließlich sprach, war seine Stimme rauh.
    »Eine Scheidung. Sie wollte sich scheiden lassen. Ich habe ihr abgeraten. Und jetzt ist sie tot.«
    Bevor ich reagieren konnte, hatte er den Arm weggezogen und war verschwunden.
     
    In Anbetracht der Krise mußte Mrs. Yogetsu direkt ins Bett geflohen sein. Den ganzen Abend über sah ich von ihr nichts mehr. Ihr Ehemann hingegen hatte mit seinem Neujahrsessen glänzend abgeschnitten. Es gab Schalen mit dampfender Misosuppe, Platten mit Fisch und eingelegtem Gemüse, und zum Abschluß klebrige Mochi-Kuchen als Nachtisch. Ich konnte nicht viel essen, denn ich hatte leichte Kopfschmerzen von dem Whiskey und dem, was Hugh mir erzählt hatte. Weder er noch sonst jemand von Sendai war zum Essen erschienen. Als Yuki sich nach ihnen erkundigte, flüsterte Mr. Yogetsu, daß eine Delegation der Firma mit dem Sechs-Uhr-Zug angekommen sei. Sie hatten sich im Wohnzimmer verschanzt, und die Schiebetüren waren so fest geschlossen, daß nur der Rauch ihrer Zigaretten nach außen drang.
    Ich bezweifelte, daß Hugh mir erzählen würde, was sie redeten. Die einzige Kontaktaufnahme seit seiner Flucht aus dem Alpenhof bestand in einem Umschlag, den er unter meiner Zimmertür durchgeschoben hatte. Er enthielt fünftausend Yen und seine zweisprachige Visitenkarte. Auf der japanischen Seite stand geschrieben: Lassen Sie mich wissen, wenn ich Ihnen noch etwas schuldig hin.
    Er hatte richtig gerechnet – die Getränke und die Sandwiches hatten etwa vierzig Dollar gekostet. Ich rechnete meinen Anteil aus und schob zweihundert Yen unter seiner Tür durch, mit einem Zettel, auf dem stand: Ihr Wechselgeld. Dann kehrte ich zu meinem Futon zurück und versuchte zu lesen. Ich hatte den Banana-Yoshimoto-Roman vergessen, den ich zu Weihnachten bekommen hatte, aber Kodanshas Kanji-Taschenführer hatte ich dabei. Nach einer fruchtlosen Stunde nahm ich Handtuch und Zahnbürste und ging zu dem kleinen Damenwaschraum am Ende des Ganges. Als ich die Hand auf den Türknopf legte, wurde die Tür der Herrentoilette daneben geöffnet. Mr. Nakamura kam heraus und trocknete sich die Hände mit einem Taschentuch.
    Ich sah ihn zum ersten Mal seit dem Vormittag, und er wirkte völlig kaputt. Mir war zwar klar, daß Toiletten nicht der rechte Ort für Small talk waren, aber ich hatte das Gefühl, nichts zu sagen wäre schlimmer.
    »Wegen Ihrer Frau … das war ein großer Schock. Es tut mir wirklich sehr leid.«
    »Man kann nichts machen.« Mr. Nakamura zeigte keine Reaktion, nur seine übliche ärgerliche Miene.
    »Verzeihung, ich verstehe nicht ganz.«
    »Oh, ich glaube, Sie verstehen Japanisch sehr gut«, schnauzte er. »Und Sie verstehen sich sehr gut darin, Situationen zu manipulieren und Leute in Schwierigkeiten zu bringen …«
    »Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden«, sagte ich und sah ihn an.
    »Der Mann, den Sie ein perverses Schwein genannt und aus dem Zug gejagt haben. Sie haben den falschen erwischt.«
    Ich hatte nicht gewußt, daß die Nakamuras im selben Zug gewesen waren. Aber es war natürlich klar, da er mit seiner Begleitung nur fünf Minuten nach mir in der Pension erschienen war.
    »Was meinen Sie damit? Wer war es denn?« Ich erinnerte mich an den Mann mit dem »Milk Pie« -Sweatshirt, der den Zug fluchtartig verlassen hatte, und bekam Gewissensbisse.
    »Ihre Übersetzerdienste heute morgen haben mir nicht gefallen«, fuhr er im selben harten Tonfall fort.
    »Ich wollte mich nicht aufdrängen. Glendinningsan hatte nur wegen Ihrer Frau gefragt …«
    »Reden Sie weiter mit der Polizei, ja? Es ist wichtig für sie zu wissen, wo alle Ausländer waren. Da meine Frau offenbar ermordet wurde.«
    »Wirklich?« Ich zwang mich, ruhig weiterzusprechen. »Hat denn die Polizei irgendeine Theorie?«
    »Das werden wir sehen, nicht? Sie werden ja sicherlich weiterhin damit zu tun haben.« Mr. Nakamura verbeugte sich spöttisch und ging nach unten.
    Im Waschraum betrachtete ich mein Spiegelbild und versuchte zu verstehen, was passiert war. Nakamura hatte deutlich gemacht, daß er mich sowohl für aufdringlich als auch für verdächtig hielt. Und

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