Die Tote im Badehaus
haben. Jetzt gibt es das in Shiroyama zu kaufen, weil man an Touristen alles los wird.«
»Was sagt sie? Ist es wertvoll oder gefälscht?« Mrs. Chapman war ungeduldig geworden, weil sie von all dem Japanisch nichts verstand.
»Weder noch. Sie sagt, es sei nicht von hier. Wenn ich es öffnen könnte, würden wir vielleicht einen Hinweis finden, weil ja etwas darin klappert.«
»Ich will es versuchen. Ich brauche etwas Spitzes.« Taro hantierte neugierig an dem Kästchen herum.
Mrs. Chapman zog eine Nadel aus ihrem lockeren, orangefarbenen Haarkranz, und Taro machte sich an die Arbeit. Ich blickte weg. Ich wollte nicht mit ansehen, wie mein Schatz kaputtgemacht wurde.
»Na also.« Er reichte mir das Kästchen. »Sehen Sie zuerst hinein, falls es etwas Todbringendes ist!«
Ich hob den Deckel und fand ein etwa zweieinhalb Zentimeter langes Stück Blau-Weiß-Porzellan. Ich reichte es herum, und alle waren sich einig, daß es ein hashi-oki sein mußte, ein kleines, verziertes Bänkchen, auf das man während des Essens die Eßstäbchen legt.
»Ich glaube nicht, daß es sehr alt ist, weil es mit Acrylfarbe bemalt ist«, sagte ich. »Aber das Kästchen könnte älter sein. Sehen Sie sich die Papierauskleidung an.«
»Alte Zeitung. Darf ich es mir vielleicht ausleihen, um es genauer zu untersuchen?« Taro sah wirklich aufgeregt aus.
»Sicher«, antwortete ich und reichte es ihm, doch das Bänkchen für die Eßstäbchen wickelte ich in ein Stück Papier, um es oben zu verstauen. Es mochte zwar wertlos sein, aber zu Hause hatte ich Verwendung dafür.
»Wo ist Glendinning-san?« Langsam hörte sich Yuki an wie eine kaputte Schallplatte.
Ich sagte nichts, also tat es Mrs. Yogetsu. »Heute nachmittag war die Pressekonferenz wegen der Autopsie im Polizeipräsidium. Alle Männer von Sendai waren dort.«
»Die Autopsie! Was, glauben Sie, hat der Gerichtsmediziner herausgefunden?« Taro sah aus, als würde er von innen heraus leuchten.
»Mr. Yamamoto sagt, es war Selbstmord«, unterbrach Mrs. Chapman. »Irgendwas wegen Geld. Meiner Meinung nach konnte die Frau das Leben mit diesem erbärmlichen Ehemann nicht mehr ertragen. Wie meine Cousine, Maureen, deren Mann einfach nicht die Hosen anbehalten konnte. Das arme Mädchen war zwanzig Jahre lang deprimiert und hat getrunken. Eines Tages hat sie dann einfach beschlossen, Schluß zu machen, und hat ein paar Schlaftabletten mit einer halben Flasche weißem Zinfandel geschluckt …«
»Eine traurige Geschichte, aber nicht die von Setsuko.« Hugh Glendinning stand mit Yamamoto in der Tür. Beide trugen korrekte dunkle Anzüge: Yamamoto den vom Silvesterabend und Hugh einen kohlefarbenen aus Wolle mit breiten Schultern, dazu ein frisches weißes Hemd und eine Sulka-Krawatte.
»Sie haben gelauscht!« Mrs. Chapman war wütend, daß man ihr das Wort abgeschnitten hatte.
»Es tut mir leid. Es war meine Schuld – ich bin kein guter Gesprächspartner«, entschuldigte sich Taro.
»Es ist doch zu erwarten, daß an einem Ort wie diesem geklatscht wird.« Hugh warf mir einen Blick zu und setzte sich. Yamamoto tat das gleiche. »Zu Ihrer Information, der Gerichtsmediziner hat es als Unfall eingestuft. Man glaubt, daß Mrs. Nakamura das Bewußtsein verloren hat und erfroren ist.«
»Das kann nicht sein«, murmelte ich.
»Es ist offiziell«, sagte Hugh trocken.
Keiner von uns wagte es, noch mehr Fragen zu stellen. Das lockere Geplauder von Reisenden, das sich am ersten Abend zwischen uns entwickelt hatte, war unmöglich geworden. Jetzt gab es zwei Lager – Sendai und die anderen Gäste.
Nach dem Essen ging ich mit den Ikedas ins Wohnzimmer, um eine Fernsehübertragung von Beethovens Neunter anzusehen, das unabdingbare japanische Feiertagskonzert. Taro und Yuki lächelten und summten mit. Ich schloß die Augen, bis um zehn Uhr die Nachrichten kamen, mit einem Bericht über die Pressekonferenz in Shiroyama zu dem Mord an Setsuko. Ich hörte genau zu und merkte, daß Hugh uns nur das erzählt hatte, was für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt war. Nicht mehr und nicht weniger.
Als ich eine Stunde später hinauf ins Bett gehen wollte, überraschte mich Hugh im Gang.
»Ich muß mit Ihnen sprechen«, sagte er.
»Okay.« Ich lehnte mich an die Wand vor meinem Zimmer, froh, daß Taro und Yuki außer Hörweite waren.
»Was zum Teufel haben Sie den Leuten über Setsuko erzählt?«
»Was soll das denn sein, die schottische Inquisition?« Die Nervosität, die ich den ganzen
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