Die Tote im Badehaus
schadest dir nur! Rei-san hat engen Kontakt zur Polizei.« Yuki preßte ihre himbeerfarben bemalten Lippen mißbilligend zusammen. Japaner sind der Polizei gegenüber manchmal etwas mißtrauisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele ehemalige Militäroffiziere zur Polizei gegangen, und diverse Anklagen wegen Korruption in der letzten Zeit hatten ihr Image nicht gerade verbessert.
»Ich wurde einfach zur Übersetzerin gemacht. Ich hatte keine Wahl.« Ich lächelte Yuki an, um sie zu beruhigen.
»Sie waren großartig, Mädchen. Wie die Dolmetscher, die man immer im Fernsehen sieht.« Mrs. Chapman gab mir einen Klaps aufs Knie.
»Es muß Mord gewesen sein, nach Mrs. Nakamuras Zustand zu urteilen. Ich habe es gesehen, als ich dem Ehemann nach draußen gefolgt bin. Ohne Kleider! Schamlos.« Taro sah eher aufgeregt als entrüstet aus, wie mir auffiel.
»Was denken die Damen? Sie sind Experten wegen die vielen Morden in Amerika!« sagte Yuki.
»Man sagt, jede Familie hat eine Waffe im Haus. Stimmt das?« Taros Augen funkelten.
»Nun, wir haben natürlich das Recht, Waffen zu tragen. Draußen auf dem Land …«, begann Mrs. Chapman.
»Wir haben nicht alle eine Waffe«, unterbrach ich. In letzter Zeit fragte mich beinahe jeder, den ich kennenlernte, ob ich eine.45 dabeihatte. Manchmal war es wirklich peinlich, Amerikanerin zu sein.
»Nur weil jemand Macht hat, heißt das noch lange nicht, daß er auch unschuldig ist. Schauen Sie sich doch diese ganzen politischen Skandale in Japan an. Bestechung, Korruption, Erpressung …«
»Das ist eine ernste Angelegenheit. Die Polizei ist heute morgen wieder ins minshuku gekommen. Ich glaube, es ist sehr gut möglich, daß es ein gewaltsamer Tod war.« Taro streckte der Kellnerin seine leere Teetasse entgegen, die gelangweilt zum Tisch kam und nachschenkte.
»Warum mußten wir nicht ausziehen, damit sie nach Beweismaterial suchen können? Das ist doch unlogisch«, meinte ich.
»Mrs. Nakamura hat sich bestimmt umgebracht. Beim Abendessen hat sie ziemlich unglücklich gewirkt.« Mrs. Chapman warf mir einen vielsagenden Blick zu.
»Sie waren mit Glendinning-san zusammen, nicht? Sicherlich er weiß mehr als der Rest von uns«, bohrte Yuki.
»Erzählen Sie.« Mrs. Chapman schien das Wasser im Mund zusammenzulaufen, obwohl ihr Teller leer war.
»Er sagt nicht viel. Wahrscheinlich will er sich loyal zur Firma verhalten.« Ich beschloß, nicht zu verraten, wie Hugh am Vortag gelitten hatte.
»Aha. Sehr japanisch. Er scheint gut mit der Hierarchie zurechtzukommen!« Taro schlürfte seinen Tee.
»Rei-san, ich habe schon gedacht, vielleicht hat er Interesse für Sie«, schaltete sich Yuki ein. »Beim Silvesteressen hat er immer mit Ihnen gesprochen.«
Ich schüttelte heftig den Kopf, denn mir gefiel die Wendung nicht, die das Gespräch nahm.
»Vielleicht ist Ihnen ein Japaner oder ein anderer konketsujin lieber?« Yuki schien zu überlegen. »Wie alt sind Sie eigentlich? Wenn Sie zu lange warten, dann sind Sie Weihnachtskuchen.«
»Das liegt schon hinter mir«, sagte ich und verzog das Gesicht. Alleinstehende Frauen wurden als alles mögliche bezeichnet – als »unverkaufte Ware«, »altes Fräulein« oder, wie Yuki sagte, als »Weihnachtskuchen«. Das Gebäck mit Schlagsahne und Erdbeeren wurde bis zum fünfundzwanzigsten Dezember zum vollen Preis verkauft, ab dem Tag danach war es schlichtweg unverkäuflich. Für Japaner war eine Frau über fünfundzwanzig ein liegengebliebener Kuchen.
»Karrierefrauen heiraten später«, tröstete mich Taro. »Yuki war achtundzwanzig.«
»Baka!« schimpfte Yuki. Doch das Lachen ihres Mannes verriet, wie glücklich er mit ihr war.
Taro und Yuki liebten sich an diesem Nachmittag. Ihre Tür blieb die vier Stunden zwischen unserer Ankunft in der Pension und dem Abendessen geschlossen. Mit schläfrigem Blick und glücklich lächelnd kamen sie herunter und setzten sich zu mir an die Feuerstelle, wo ich gerade Mrs. Chapman das antike Kästchen zeigte, das ich am Neujahrstag gekauft hatte. Als Mrs. Yogetsu uns zum Abendessen rief, warf sie auch einen Blick darauf.
»Das stammt nicht aus Shiroyama.« Sie klang beinahe triumphierend.
»Woher dann?« wollte ich wissen. Sie mochte vielleicht recht haben, aber es machte mich wütend, so blamiert zu werden, mit meinem Magister in asiatischer Kunstgeschichte.
»Ich denke zum Beispiel an Hakone. Ja, solche Intarsien sind dort sehr beliebt. Jemand muß es als Souvenir gekauft und mitgebracht
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