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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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Tag versucht hatte zu unterdrücken, kam nun zum Vorschein.
    »Ach, kommen Sie«, rügte er mich. »Sie haben doch alle möglichen Spekulationen über Selbstmord und Mord angestellt. Ich dachte, das bleibt unter uns.«
    »Das haben sich die Leute selbst zusammengereimt. Außerdem kann es Ihnen egal sein. Sie haben doch gesagt, alle Zweifel über ihren Tod sind ausgeräumt.«
    »Gar nichts ist ausgeräumt. Es wurden nur viele Verbeugungen gemacht und sayonaras gesagt, bevor Nakamura in den Vier-Uhr-dreißig-Express gestiegen war, um die Beerdigung vorzubereiten. Ich habe nichts anderes erwartet.«
    Zum ersten Mal seit der Bemerkung über die Scheidung hatte er etwas Negatives über Nakamura angedeutet.
    »Was können Sie dagegen tun?« flüsterte ich. »Sie sind in einer unmöglichen Position.«
    »Sie aber nicht.« Er blickte mich fest an. »Sie sind eine von Natur aus neugierige Person, und Sie gehen als Japanerin durch. Mit Ihren Sprachkenntnissen und Ihrem Aussehen können Sie Fragen stellen, die ich nicht stellen kann.«
    »Hah. Sie haben ja keine Ahnung, was für Schwierigkeiten es mit sich bringt, so auszusehen«, sagte ich und dachte an die vielen unverschämten Diskussionen über meine Abstammung, die ich schon ertragen mußte.
    »Das weiß ich. Deshalb habe ich ja versucht, Sie gestern zum Mittagessen einzuladen.« Als ich ihm klarmachen wollte, daß ich immun gegen sein Gequatsche war, legte er mir einen Finger auf die Lippen. Ein Funke flog, und wir beide schreckten zurück.
    »Sie können mir helfen. Sie tun es bereits, nur ohne jeden Sinn für Diskretion.«
    »Ich will nicht.« Ich war streitlustig. Setsuko Nakamura hatte ihm aus der Hand gefressen, und ich wußte, wohin das geführt hatte. Tod im Schnee, ein klarer Fall für den Gerichtsmediziner.
    »Sprechen wir doch morgen noch einmal darüber. Überschlafen Sie die Sache.« Er beugte sich herunter und kam mir so nahe, daß ich seinen Atem spürte. Ich merkte, daß er etwas aus dem Gleichgewicht war, und duckte mich unter seinem Arm.
    »Sie kommen mir zu nahe«, zischte ich. »Gute Nacht.«
    Als ich sicher in meinem Zimmer war, brach ich zusammen. Es war keine gute Idee, irgend etwas mit Hugh Glendinning anzufangen. Es wäre ja in Ordnung, aus Freundlichkeit behilflich zu sein, aber ich hatte Setsuko Nakamura nun einmal nicht gemocht. Mein anfängliches leidenschaftliches Interesse an ihrem Umfeld war nur meinem Selbsterhaltungstrieb zuzuschreiben gewesen. Jetzt, wo die Gefahr gebannt war, hatte jede Leidenschaft meinerseits einen anderen Ursprung.
    Das war ein gefährlicher Kurs, der gefährlichste seit Shin Hatsuda, dem Maler mit dem Pferdeschwanz, in den ich mich auf einer Party in Harajuku Hals über Kopf verliebt hatte. Shin war nur leider vor zehn Monaten mit der Hälfte meiner Kunstbücher und einem noch größeren Teil meiner Selbstachtung verschwunden; Hugh Glendinning könnte noch mehr Schaden anrichten. Ich fange nichts mit gaijin an, hatte ich einmal zu Karen gesagt, als sie mich mit einem blauäugigen Investment-Banker verkuppeln wollte. Aus dem Grund war ich schließlich nicht um die halbe Welt gereist.
    Ich zog meinen Pullover aus und erinnerte mich zu spät, daß man mich durchs Fenster von der Straße aus sehen konnte. Ich legte mir die yukata um die Schultern, drehte mich um und sah, daß die Reispapierwand doch vor dem Fenster war. Allmählich wurde ich verrückt. Ich drehte das Licht ab und vergrub mich in dem kühlen Futon.
    Ich hatte gerade geträumt, im Debattierclub meiner Schule zu sein. Ich wartete darauf, mit meinem Team auf die Bühne zu gehen: Mr. Nakamura, Mr. Yamamoto, Mrs. Chapman und Hugh. Setsuko Nakamura stand in ihrem elfenbeinfarbenen Chanelkleid neben dem Podium und wollte uns vorangehen. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Dann zog sie einen Parfümzerstäuber heraus und sprühte das Publikum mit einem giftigen chemischen Spray ein.
    Ich erwachte in völliger Dunkelheit. Es roch brenzlig: nach Gas, und zwar so stark, ich ich fast erstickte. Ich befreite mich von den Decken und kroch zur Heizung hinüber. Die Flamme brannte nicht, aber mit der Hand fühlte ich, daß der Schalter festgeklemmt war. Ich versuchte, ihn zu drehen, aber er bewegte sich nicht.
    O Gott. Das persönliche Gebet, das mir am Silvesterabend nicht einfallen wollte, kam mir jetzt. Ich mußte hier raus. Auf dem Bauch robbte ich zu dem schmalen Lichtspalt unter der Tür.
    Bevor ich ins Bett gegangen war, hatte ich die Tür abgeschlossen.

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