Die Tote im Badehaus
wandte er sich wieder dem Bild auf der Vorderseite zu. »Dieser gaijin hatte damit zu tun? Er sieht lecker aus.«
»War er auch«, rutschte es mir heraus.
Richard schrie auf. »Asiatisches Mädchen als Sextouristin! Erzähl es mir, sonst …« Er schwang mein stumpfes Gemüsemesser.
Ich gab schnell nach, was uns beiden sowieso klar gewesen war. Zum Teil, weil Richard nach all den Jahren der Landers-Lektüre ein guter Amateurtherapeut war, und außerdem, weil er mein bester Freund war, wahrscheinlich der einzige Mensch, der gewillt war, sich an der Miete für eine Bruchbude mit Blechdach zu beteiligen, die meilenweit entfernt von den vornehmen Vierteln lag, in denen die meisten Ausländer wohnten.
»Das ist ja viel interessanter als alles, was in der Zeitung steht«, war sein Kommentar, als ich fertig erzählt hatte. Unnötigerweise setzte er noch hinzu: »Und wie wirkt sich das auf deine Gefühle für Shin aus?«
»Shin Hatsuda?« Ich hatte den letzten Herzensbrecher in meinem Leben schon fast vergessen. »Ich empfinde nichts mehr für ihn. Gar nichts.«
»Warum hat es dann seither niemanden mehr gegeben? Du solltest wieder vertrauen lernen und begreifen, daß nicht jeder Typ drittklassige Akte mit deinem Gesicht malt.«
»Shin kommt mir jetzt so jung vor, ein richtiger Grünschnabel.« Ich hielt inne. »Das sollte keine Beleidigung sein.«
»Hey, ich bin froh, daß ich unter fünfundzwanzig bin, und ich würde dir niemanden über dreißig empfehlen. Die haben zwar Spesenkonten, aber nicht mehr die entscheidenden Triebe.« Richard schwenkte seine Kaffeetasse und verschüttete ein wenig von der dunkelbraunen Flüssigkeit auf dem Art-déco-Eisdielentisch, den wir vor einem Jahr vom Flohmarkt am Togoschrein nach Hause geschleppt hatten.
»Unsere Triebe waren gleichstark. Es war furchtbar«, sagte ich niedergeschlagen, während ich die Pfütze aufwischte.
Ich hatte die falschen Worte gewählt, denn Richard gab sofort seinen Lieblingssong von den Lemonheads zum besten.
»It’s a shame about Ray!« schmetterte Richard.
»If I make it through today, I know tomorrow not to leave my feelings out on display. I’ll put the cobwebs back in place …«
»In dem Lied geht es um einen Mann namens R-A-Y.« Ich hielt mir die Ohren zu. Aber er schaltete den CD-Player ein und sang aus vollem Hals mit Evan Dando.
»It’s a shame about Ray! In the stone under the dust his name is still engraved. Some things need to go away. It’s a shame about Ray!«
Hugh Glendinnings Name würde den Rest des Jahres in meinem Unterleib eingraviert sein, wenn nicht den Rest meines Lebens. Als Richard sich wieder beruhigt hatte, versuchte ich ihm zu erklären, wie deprimierend das war. »Das Problem ist, er hat sich nur mit mir eingelassen, um etwas zu bekommen …«
»Natürlich! Er hat gewußt, daß es dir schnurzegal sein wird, was er angestellt hat, wenn er dich erst mal in Entzücken versetzt hat. Glaubst du wirklich, er hat sie umgebracht?«
»Ich weiß es nicht.« Ich schloß die Augen und wünschte mir, all das wäre nicht passiert. »Er wollte mir noch irgendwas sagen, aber ich wollte nicht mehr warten.«
»Schlau, Rei, ganz schlau. Kaum zu glauben, daß du irgendwo hinten in deinem Bücherregal ein Phi-Beta-Kappa-Zeugnis liegen hast!«
In der Morgenzeitung stand eine kurze Fortsetzung über den tragischen Unfalltod von Setsuko Nakamura. Hugh Glendinning erklärte stellvertretend für Sendai, daß Mr. Nakamura über den Tod seiner Frau trauere und nach kurzer Abwesenheit wieder auf seinen Posten als Leiter der Abteilung strategische Planung bei Sendai zurückkehren werde.
Richard ging ins Bad, um zu duschen, und ich zog den Autopsiebericht heraus. Wenn es mir gelang, ihn zu übersetzen, gelang es mir vielleicht auch zu glauben, daß ich auf Setsukos Tod tatsächlich überreagiert hatte. Ich versuchte es zwanzig Minuten lang und mußte feststellen, daß ich nur ein paar wenige kanji entziffern konnte. Ich konnte den Bericht meinem Vater faxen und mir von ihm den medizinischen Teil erklären lassen. Andererseits wußte ich nicht, wie ich ihm das unterbreiten sollte, ohne daß er sich wieder über die Gefahren meines Lebens in Japan ausließ.
Als ich eine halbe Stunde später einen Stapel Neujahrspostkarten durchsah, stach mir ein Name ins Auge. Es gab jemanden, der noch mehr wußte als mein Vater. Ohne die Karte erst zu lesen, ging ich zum Telefon.
Die Telefonistin des St. Luke’s International Hospital war nicht
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