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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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mehr in der Hand als nur das Telefon.
     
    Beim kanji- Spielan diesem Abend gewann ich haushoch, was alle überraschte. Zugegeben, in Shiroyama hatte ich keine andere Lektüre als das Lexikon gehabt. Mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit malte ich Zeichen auf Richards kleine weiße Tafel. Wir spielten um Hundert-Yen-Münzen, und am Ende des Abends besaß ich zwanzig davon.
    »Das reicht, um ein kleines Stück Roquefort zu kaufen! Du darfst ihn mir nächste Woche auf Baguette servieren«, schlug Simone vor.
    »Oder für ein Telefongespräch nach Hause. Meine Eltern würden sich freuen«, entgegnete ich.
    »Ein Fünferpack Gummis von Kondomania wäre auch drin!« Richard grinste.
    »Du bist widerlich«, sagte Karen, die für alle Frauen sprach. »Es ist ein Wunder, daß wir dich überhaupt mitspielen lassen.«
     
    Es war schon merkwürdig, wie wir uns gefunden hatten, dachte ich bei mir, als ich den Nudeltopf abspülte, nachdem Karen und Simone gegangen waren, um ihre U-Bahn zu erwischen. Richard und ich bildeten ein klasse Team. Wir kämpften uns beide bei Nichiyu als Englischlehrer durch. Simone hatten wir kennengelernt, als sie marokkanische Armreifen im Ueno-Park verkaufte. Sie hatte es schwer, denn mit ihrer Tasche voller Flitter zweifelhafter Herkunft war sie ständig auf der Flucht vor der Polizei, und sie lebte mit drei Französinnen in einer Wohnung, die kleiner war als unsere.
    Karen hingegen lebte relativ luxuriös. Sie arbeitete als Model und verdiente genug, um sich mit einem japanischen Freund eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu teilen. Es stimmte, daß Blondinen in Tokio alles zuflog, aber ich mochte Karen trotzdem. Sie erinnerte mich an die freundlichen, sportlichen Mädchen, die mir Schwimmunterricht gegeben hatten, und sie schnitt mir kostenlos die Haare. Darüber hinaus beeindruckte es mich, daß sie Japanisch lesen und schreiben lernen wollte, denn in ihrem Beruf war das gewiß nicht erforderlich.
    Das waren meine Freunde, die Leute, zu denen ich gehörte. Ich sagte mir das noch einmal, als ich mich zum Schlafengehen bereit machte, aber das hinderte mich nicht, in dieser Nacht von einem Berg zu träumen, der vierhundert Meilen entfernt war und auf dem zwei Männer waren – der eine lahm, der andere wahrscheinlich tot.

11
    Als mich meine Eltern am nächsten Morgen anriefen, erhielten sie einen Bericht meiner Silvesterreise, in dem weder Mord, vermißte Personen noch Sex vorkamen. Ich erwähnte, daß ich Tom angerufen hatte. Mein Vater würde sich wahrscheinlich darüber freuen – immerhin hatte er meinem Cousin das Medizinstipendium in San Francisco verschafft. Aber ich hatte nicht daran gedacht, was ich mit der Erwähnung der Familie meines Vaters bei meiner Mutter auslösen würde.
    »Ich schulde ihnen noch ein Weihnachtsgeschenk«, jammerte sie. »Glaubst du, es ist zu spät, um noch etwas zu schicken?«
    Noch nach dreißig Ehejahren ließ sich meine amerikanische Mutter von der japanischen Etikette einschüchtern. Unsere wenigen Besuche bei der väterlichen Verwandtschaft hatten vorher immer Intensivkurse an der Berlitzschool und Unterricht in der Teezeremonie erfordert; wenn wir dann in Japan waren, war sie verständlicherweise verärgert, daß die Familie meines Vaters sie immer noch wie eine Ausländerin behandelte.
    »In Japan schenkt man sich gewöhnlich nichts zu Weihnachten, Catherine«, sagte mein Vater vom anderen Apparat aus, wo er sich bis jetzt ruhig verhalten hatte. »Und deine Neujahrskarte habe ich schon geschickt.«
    »Ich könnte ihnen ein paar sonnengetrocknete Tomaten schicken, die großen, in dem kaltgepreßten Olivenöl aus Sonoma. Das letzte Mal scheinen sie ihnen geschmeckt zu haben. Rei, glaubst du, das ist einfallslos?«
    »Nein, das ist eine tolle Idee. Und wenn du schon dabei bist, schick mir doch auch gleich welche. Die trockenen. Wenn das Olivenöl ausläuft, denken sie, es ist eine Bombe.«
    »Wenn du zu Weihnachten nach Hause gekommen wärst, hättest du alle deine Lieblingsspeisen essen können«, nörgelte meine Mutter und fing wieder mit dem alten Streit an.
    »Ich weiß. Ich wollte ja nach Hause. Ich konnte es mir einfach nicht leisten.«
    »Was soll das heißen? Wir haben dir letztes Jahr ein Ticket geschickt, das du immer noch nicht benutzt hast«, brummte mein Vater.
    »Ein einfaches«, erinnerte ich ihn. »Ihr wollt, daß ich zurückkomme und bleibe.«
    »Jedes Jahr, das du deine Doktorarbeit hinausschiebst, ist verschwendete Zeit«, argumentierte mein Vater. »Du

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