Die Tote im Badehaus
hast den Magisterabschluß so gut gemacht, daß du leicht wieder hineinfinden würdest.«
»Rei hat genügend studiert«, mischte sich meine Mutter ein. »Sie wird künstlerische Beraterin in meiner Firma. Genau das will sie doch auch machen.«
»Wenn ihr mich sehen wollt, dann kommt her. Ihr seid immer willkommen«, sagte ich in der Hoffnung, sie damit auf ein anderes Thema zu bringen.
»Ich weiß nicht, Rei. Dieses fürchterliche Zimmer, in dem du wohnst, mit diesem unmännlichen Jungen …« Meine Mutter verstummte.
»Ich reserviere euch ein Zimmer im Prince Hotel! Ich könnte etwas Gesellschaft auf den Schreinflohmärkten brauchen.«
»Ich denke darüber nach. Aber ich muß zwei neue Häuser einrichten, und Daddy unterrichtet dieses Semester an der Uni, da kann er nicht weg. Und du weißt ja, daß ich ohne ihn nicht mit den Shimuras zurechtkomme.«
»Ich muß jetzt Schluß machen«, sagte ich, denn ich befürchtete eine erneute Aufzählung ihrer vermeintlichen Beleidigungen. Das Problem war die Trennung: die Shimura-Männer entführten meinen Vater auf den Golfplatz, und meine Mutter mußte bei Tante Norie bleiben, die immer vergaß, daß meine Mutter weder Fisch noch andere Meerestiere mochte. Meine Tante hatte meine Mutter außerdem ausgelacht, als sie einmal ein antikes Keramikurinal nach Hause schicken wollte. In dieser Sache stand ich auf der Seite meiner Mutter. Das blau-weiße Urinal sah mit kalifornischem Mohn bepflanzt einfach toll aus.
»Was hast du heute noch vor?« Meine Mutter wollte das Gespräch nur ungern beenden.
»Ach, ich wollte einkaufen gehen, vielleicht nach ein paar Holzdrucken suchen«, improvisierte ich.
»Wirklich! Denk dabei an mich. Und vergiß nicht, das Alter ist mir egal, Farben und Linienführung sind mir wichtig, und so wenig Wasserschäden wie möglich …«
Meine Mutter und ich liebten japanische Antiquitäten. Für sie als Innenarchitektin war das Aussehen wichtiger als die Geschichte. Mir war das Alter der Gegenstände wichtiger, aber mein Budget erlaubte mir nur kleine, häufig beschädigte Stücke. Trotzdem freute ich mich über alles, was ich kaufte. Und wenn man genügend Kimonos und Holzdrucke an die Wand hängte, dann sah man die abblätternde Farbe nicht mehr und das Zimmer erschien so gemütlich, daß man beinahe vergaß, daß es keine Zentralheizung gab.
Ich legte auf und spülte das Geschirr unter einem kalten Rinnsal ab, das erst warm werden würde, wenn ich fertig war. Ich dachte an die Bitte meiner Mutter; ich konnte einfach in den Oriental Bazaar gehen, ein funkelndes Warenhaus für Touristen. Dort würde ich die Drucke, die sie wollte, finden. Doch das war keine Herausforderung.
Das Telefon klingelte erneut, und ich ließ den Anrufbeantworter anspringen. Als ich die Stimme eines Japaners hörte, der fließend Englisch sprach, drehte ich das Wasser ab und beeilte mich, den Hörer abzunehmen.
»Du rufst ja früher zurück, als ich gedacht hätte«, begrüßte ich Tom Shimura, den Sohn der Todfeindin meiner Mutter.
»Ich bin immer noch en route – am Bahnhof –, aber ich habe die Zentrale angerufen und deine Nachricht bekommen. Was steht an?« Toms Vorliebe für umgangssprachliche Redewendungen brachte mich immer zum Lächeln.
»Ich habe ein medizinisches Schriftstück auf japanisch, das ich nicht verstehe.«
Tom sprach leise und vertraulich. »Ist es das Ergebnis deiner Vorsorgeuntersuchung? Erzähl mir nicht, du hättest dich durchchecken lassen!«
Die Tatsache, daß mein Cousin wußte, daß jegliche medizinische Untersuchung bei mir überfällig war, ärgerte mich. Hatte er etwa meine Akten im St. Luke’s durchgeblättert? Ich bemühte mich, höflich zu bleiben, und sagte: »Nein, habe ich nicht. Aber ich wollte fragen, ob du dich vielleicht mit Autopsieberichten auskennst.«
»Klar. Ich habe während meiner Ausbildung einige verfaßt. Warum?«
»Das sage ich dir, wenn wir uns treffen.«
»Heute noch? Ich bin gegen Mittag in Yokohama.«
»Sag mir wo.« Ich staunte über mein Glück. Tom war der meistbeschäftigte Mensch, den ich kannte.
»Würde dir ein Ausflug in die Vorstadt etwas ausmachen? Mein Vater arbeitet wieder in Hiroshima, und wir waren ziemlich einsam. Ok ā san – Mom – wird sich freuen, einen Gast zum Essen zu haben.«
»Bitte sag ihr, sie soll sich keine Umstände machen.«
»Umstände? Wir essen immer noch die Reste von Neujahr. Betrachte es als Dienst an der Allgemeinheit.«
In der gepflegten Straße, die zum
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