Die Tote im Badehaus
Haus meines Cousins führte, stand in jeder Einfahrt ein nach der kulturell erforderlichen Wäsche funkelndes Auto, manche mit Festtagsschmuck auf der Kühlerhaube. Toms Honda Accord bildete keine Ausnahme. Die Dekoration aus Kiefernzweigen, die mit washi- Papierzusammengebunden waren, sah aus, als wäre sie von derselben Person gefertigt worden, die das ausladende Arrangement aus Kiefer, Bambus und Pflaume über der Haustür gemacht hatte: Tante Norie, die Martha Stewart von Yokohama.
»Rei-chan, das war doch nicht nötig!« rief meine Tante, als ich ihr ein kleines Glas indonesischer Vanillebohnen überreicht. Wahrscheinlich blieb ich bis an mein Lebensende die »kleine Rei« für sie, aber das störte mich nicht wirklich.
Tom kam nach unten und bedachte mich mit einer leichten, verlegenen Umarmung, die er wahrscheinlich in Amerika gelernt hatte, da mich ansonsten noch nie jemand aus der Familie berührt hatte. Manche Dinge waren einfach zu ausländisch.
»Erkennst du mich wieder? Die ganzen Überstunden im Krankenhaus … ich muß in ein Fitneßstudio oder so.« Tom klopfte sich auf seinen kaum vorhandenen Bauch.
»Du siehst großartig aus, Tom«, sagte ich. Tante Norie hatte mir anvertraut, daß sie schon fast ein Dutzend Anrufe von professionellen Heiratsvermittlern erhalten hatte. Doch Tom wollte nichts davon wissen.
Zum Mittagessen servierte Tante Norie gratinierte Jakobsmuscheln, einen Gurkensalat, in Sake gekochte Lotuswurzeln, Spinat-Sesam-Rollen und eingelegte Auberginen, Reste vom Neujahrsessen. »Bitte sag deiner Mutter, wie gut der Essig war, den sie zu meinem Geburtstag geschickt hat! Er ist im Salat. Aber was es genau ist, habe ich nicht verstanden.«
»Balsamico«, vermutete ich. Und zuviel davon. Ich mußte mich bemühen, beim Essen nicht den Mund zu verziehen.
»Ich möchte eine natto- Diätmachen, aber Ok ā san stopft mich mit Lebensmitteln mit hohem Cholesteringehalt voll«, sagte Tom, der nicht so aussah, als hätte er das kleinste bißchen dagegen.
»Du ißt natto? Ich bin froh, daß ich nicht mit dir zusammen arbeiten muß.« Ich zog eine Grimasse. Der Geruch der fermentierten Sojabohnen war so scheußlich wie die faserige Konsistenz, obwohl Millionen schworen, sie seien gesund.
»Tomatsu, wenn du abnehmen willst, dann heirate. Heutzutage kocht kein Mädchen mehr! Oh, es tut mir leid, Rei-chan. Du bist sicher eine Ausnahme?«
»Das hoffe ich!« Hatte sie vergessen, daß ich ihr einmal nicht ganz perfekt gerollte, nichtsdestotrotz köstliche, vegetarische Sushi mitgebracht hatte?
»Was macht die Romantik? Gibt es nette neue Boyfriends?« bohrte meine Tante.
Bevor ich verneinen konnte, kam mir Tom zu Hilfe. »Laß Rei in Ruhe. Sie wollte mich schließlich beruflich konsultieren.«
Tante Norie errötete und entschuldigte sich damit, daß sie oben staubsaugen müsse. Vielleicht befürchtete sie, Tom würde mich für eine Untersuchung auf den Eßtisch beordern. Statt dessen führte er mich ins Wohnzimmer und machte es sich in einem Plüschsessel bequem. Der Sessel gab ein elektrisches Ächzen von sich und fing an Toms Schultern zu vibrieren an. Tom seufzte zufrieden und bestärkte mich in meiner Vermutung, daß er nicht so schnell ausziehen würde. Er würde in dem Massagesessel wohnen, bis Tante Norie schließlich eine Braut mit akzeptablen kulinarischen Fähigkeiten gefunden hatte.
Während Tom den Autopsiebericht las, wanderte ich durch das minimalistische beigefarbene Wohnzimmer und schob die sh ō ji -Schiebetüren zur Seite, um mir den Garten anzusehen, wo die Pflaumenbäume bereits knospten. Vielleicht würde mich meine Tante einen Zweig abschneiden lassen.
»Das liest sich, als wäre es vor zwanzig Jahren geschrieben worden. Landärzte!« schnaubte Tom.
»Was steht drin?« Ich setzte mich auf das Sofa und schlug das Notizbuch auf, das ich mitgebracht hatte.
»Es fängt recht normal an und beschreibt die Person als einundvierzigjährige Frau mit neunundvierzig Kilogramm Gewicht. Der Mageninhalt bestand aus teilweise verdautem Reis, Fisch und Gemüsen, was darauf schließen läßt, daß sie vier bis sechs Stunden nach der letzten Mahlzeit gestorben ist.«
Das wäre also zwischen elf und ein Uhr gewesen, als ich draußen war, um die Tempelglocken zu hören.
»Bei der allgemeinen Röntgenuntersuchung wurden keine Frakturen sichtbar. Die Röntgenaufnahme des Schädels zeigte auch keine Frakturen, obwohl dem Gerichtsmediziner aufgefallen ist, daß sie hinter beiden Ohren
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