Die Tote im Badehaus
ich nach Yokohama gefahren, wo ich ein paar Tage bei einem alten Freund gewohnt habe. Aber seine Eltern waren bereits auf der Rückreise von ihrem Neujahrsurlaub, und deshalb konnte ich nicht bleiben.«
»Warum sind Sie nicht zu Ihren Eltern?« Hugh schob seine Teetasse zur Seite und schenkte sich noch einen Whisky ein. »Sie hätten Ihnen helfen können, sich einen realistischeren Abgang auszudenken.«
»Meine Eltern wissen nichts. Wie könnte ich ihnen erklären, daß ich vor Sendai weglaufe? So ein angesehener, guter Arbeitgeber? Das würden sie niemals verstehen.«
»Ist Ihnen eigentlich klar, daß sie wahrscheinlich gerade Ihre Beerdigung vorbereiten? Sie müssen sie anrufen«, beharrte Hugh.
»Aber bei Sendai darf es keiner erfahren.«
»Warum rufen wir nicht die Nationalpolizei an?« fragte ich. »Die bemühen sich doch wirklich, etwas gegen das organisierte Verbrechen zu unternehmen.«
Hugh versuchte auf die Beine zu kommen. »Wenn Sie noch eine Nacht hier verbringen dürften, würden Sie dann zu Hause anrufen?«
»Das würde ich gerne, aber es ist ein Ferngespräch nach Yokohama.«
»Rufen Sie jetzt an! Bitte!« bellte Hugh.
»Du solltest selbst bei der Nationalpolizei anrufen«, brummelte ich, als Yamamoto in Hughs Arbeitszimmer gegangen war, um zu telefonieren. »Ich traue ihm nicht. Außerdem muß die Polizei die Wahrheit über die Perlen erfahren.«
»Ich rufe überhaupt niemanden an«, entschied Hugh. »Die Perlen sind kein Problem – ich bin schließlich raus aus dem Gefängnis. Und ich würde gerne dieses Chaos um den Eterna-Akku entwirren.«
»Warum, damit du deinen Job wiederbekommst? Vergiß Sendai. Du könntest überall auf der Welt arbeiten. Ich dachte, du bist ein Mann, der immer auf Achse ist, alle anderthalb Jahre ein neuer Job …«
»Ich will hier bleiben.« Er klang starrsinnig.
Ich warf einen Blick auf seine Messingkapitänsuhr auf dem Sideboard. Es war nach Mitternacht, und das hieß, daß keine U-Bahn mehr fuhr. Ich würde mir ein Taxi nehmen müssen.
»Ich gehe.« Ich trug die Teller und Gläser in die Küche. Mir fiel auf, daß Yamamoto seinen Scotch nicht angerührt hatte. Ich überlegte, ob ich die Spülmaschine einräumen sollte, entschied mich aber dagegen. Die beiden sollten auch etwas zu tun haben.
Hugh tauchte mit seinen Krücken hinter mir auf, als ich meine Schuhe anzog.
»Ich fahre dich mit dem Auto. Dein miserabler Tee hat mich wieder nüchtern gemacht.«
»Auf keinen Fall. Du mußt auf Yamamoto aufpassen, und für mich ist es einfacher, ein Taxi zu nehmen.«
»In ein paar Stunden fahren wieder die ersten Züge. Geh nicht.« Hugh betrachtete mich auf eine Weise, die mich an die Nacht erinnerte, die wir zusammen verbracht hatten, die Nacht, bevor alles zusammengebrochen war.
»Mir reicht es. Auf Wiedersehen, Shug.« Ich warf einen Blick über die Schulter, um seine Reaktion zu sehen, und war verärgert, daß er mir nicht einmal nachblickte. Er war bereits mit etwas anderem beschäftigt, denn er redete in die Gegensprechanlage. Vor dem Haus war gerade ein Taxi vorgefahren. Zu meinem Glück. Ich lächelte dem Pförtner von Roppongi Hills zu, als er mir die Tür aufhielt, aber ich staunte nicht schlecht, als er dem Fahrer meine Adresse und einen brandneuen 5000-Yen-Schein gab.
»Von Glendinning-san«, erklärte er mir.
Hugh mußte diesen subversiven Akt der Barmherzigkeit über die Gegensprechanlage organisiert haben.
Es hätte mir eigentlich peinlich sein müssen, aber es war nun tatsächlich so, daß eine Taxifahrt durch die Stadt katastrophal für meine persönlichen Finanzen war. Wie schmutzig Hugh Glendinnings Geld auch sein mochte, ich würde es nehmen.
20
Am nächsten Morgen zog ich mich im Badezimmer an, um Mariko nicht zu wecken, die leise auf dem Gästefuton schnarchte. Ich hätte selbst gerne ausgeschlafen, aber sonntags war in den Läden immer am meisten Betrieb. Es wäre sicher von Vorteil, im Mitsutan aufzukreuzen, bevor Setsukos Lieblingsverkäuferin, von der mir Mariko erzählt hatte, zu beschäftigt war.
Während ich mit der U-Bahn Richtung Shinjuku fuhr, stellte ich mir die geheimnisvolle Miss Yokoyama vor, wie sie Chanel-Schals zusammenlegte und Handtaschen von Prada in gläsernen Vitrinen arrangierte. Ich war ziemlich enttäuscht, als mich die Dame an der Information in die Kinderabteilung schickte. Was für ein Interesse hatte Setsuko denn an Kinderkleidung, bis auf die gelegentlichen Geschenke für den Nachwuchs ihrer Freundinnen?
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