Die Tote im Keller - Roman
lächelte und bedeutete ihnen einzutreten.
»Liegt genug vor für eine Hausdurchsuchung? Am liebsten heute Abend … Okay. Dann morgen. Ich halte Kontakt zur
Staatsanwaltschaft. Du hältst mich auf dem Laufenden. Bis dann.«
Sie legte auf und wandte sich ihren beiden Besucherinnen zu. Linda Holm war einige Jahre jünger als Irene. Irene überlegte, ob in der Geschichte von Jonny nicht vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit steckte. Dass Linda Holm mit ihren Naturlocken Blondie genannt wurde, war naheliegend.
Birgitta kam ohne weitere Umschweife auf den Grund ihres Besuches zu sprechen. Sie schilderte den Fall und äußerte ihren Verdacht, das ermordete Mädchen könnte eine Zwangsprostituierte gewesen sein. Linda Holm nickte.
»Der Verdacht liegt nahe. Mal sehen, ob wir sie irgendwo im Internet finden«, meinte sie.
Die Kommissarin griff zur Maus ihres Notebooks. Der Bildschirm stand so, dass weder Irene noch Birgitta, die auf der anderen Seite des Schreibtischs saßen, sehen konnten, wie sie vorging. Linda Holm runzelte konzentriert die Stirn. Ihre Finger flogen über die Tasten, und ihre Augen scannten die Seiten, die auf dem Monitor auftauchten.
»Hier«, sagte sie nach einer Weile.
Sie drehte das Notebook um. Auf dem Bildschirm war eine Seite mit Anzeigen geöffnet. Dass es um Sex ging, konnte man aus den Fotos schließen. Halbnackte und gänzlich unbekleidete Mädchen posierten in unterschiedlichen Stellungen. Sie wurden mit Vornamen und einem kurzen Text vorgestellt.
»Göteborgs Mädchen der Woche«, kommentierte Linda Holm trocken.
Sie deutete auf die Fähnchen neben den Bildern.
»Die Flaggen zeigen an, welche Sprachen die Mädchen sprechen. Eindrucksvoll, nicht wahr?«
Neben den meisten Fotos waren drei oder vier Fahnen abgebildet. Am häufigsten waren russische, lettische, estnische, deutsche und englische Fähnchen.
»Die Mädchen sprechen einzelne Brocken Deutsch und Englisch, die sie auf ihrer Odyssee durch Europa aufgeschnappt haben.«
Irene und Birgitta waren, wie die meisten ihrer Kollegen, öfter mit Zwangsprostitution in Berührung gekommen. Irene hatte jedoch das Gefühl, zu wenig über die aktuelle Situation zu wissen.
»Wie lange bleiben sie jeweils in einem Land?«, fragte sie.
»Etwa ein bis vier Wochen. An jedem Ort bleiben sie nur ein paar Tage. Die meisten der Mädchen wurden entführt. Es ist möglich, dass ihre Angehörigen sie suchen und als vermisst gemeldet haben. Die Zuhälter wollen sich deswegen nicht zu lange an einem Ort aufhalten. Sie kaufen die Mädchen den Kidnappern ab und können es sich nicht leisten, sie wieder zu verlieren, bevor sie möglichst viel Geld eingebracht haben. Diese Mädchen werden wie Sklavinnen gehandelt, in vielen Fällen sogar mit Hilfe der Eltern oder anderer Angehöriger. Oft handelt es sich um organisierte Menschenhändler, die den Mädchen und ihren Angehörigen vorgaukeln, im Ausland erwarte sie eine gute Arbeit. Ihre Armut macht dieses ganze Elend möglich. «
»Sehen die Mädchen überhaupt was von dem Geld, das mit ihnen verdient wird?«
»Nein. Die Zuhälter nehmen ihnen zuerst die Pässe ab, sobald sie die Grenze ihres Landes überschritten haben. Dann drohen sie ihnen. Sie reden den Mädchen ein, sie müssten für die Kosten aufkommen, die entstanden seien, als man sie aus dem Land geschleust habe. Oft drohen die Zuhälter auch mit Repressalien gegen die Angehörigen der Mädchen, falls diese nicht gehorsam seien. Gehorsam bedeutet, alle Formen von sexuellen Handlungen über sich ergehen zu lassen, die die Zuhälter und Kunden fordern.«
Linda Holm unterbrach sich einen Augenblick und zog ein Buch aus einer Schreibtischschublade. Sie hielt es hoch.
»Das ist der UNO-Bericht, aus dem hervorgeht, dass es in der Geschichte der Menschheit noch nie so viele Sklaven auf der Welt gegeben hat wie heute! Mindestens 26 Millionen Menschen leben in Sklaverei. Wahrscheinlich ist die genaue Zahl viel höher. Früher handelte es sich überwiegend um Arbeitskräfte.
So etwas gibt es auch heute noch, aber mittlerweile ist Zwangsprostitution mindestens ebenso verbreitet. Und von diesem Handel sind Mädchen und junge Frauen betroffen. Mit Menschenhandel wird mehr Geld umgesetzt als mit Drogenhandel. «
»Wie kann das sein?«, wollte Birgitta wissen.
»Drogenhandel wird überall auf der Welt strenger bestraft. Oft riskieren die Täter sogar die Todesstrafe. Menschenhandel wird generell milder geahndet. Außerdem sind die Gewinne enorm. Die
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