Die Tote im Keller - Roman
Mädchen müsste vermisst gemeldet worden sein, wenn es sich um eine Schwedin oder skandinavische Staatsbürgerin gehandelt hätte. Nirgendwo wird ein Mädchen dieses Alters vermisst. Außerdem weist der Leichnam Spuren grober sexueller Gewalt auf, die über einen längeren Zeitraum verübt wurde. Frau Stridner sagte auch, das Mädchen habe an einer Unterleibsinfektion gelitten. Einstiche an den Armen lassen auf Drogenmissbrauch schließen. All das lässt meines Erachtens
darauf schließen, dass es sich bei dem Mordopfer um eine eingeschleuste Sexsklavin handelte.«
Andersson nickte bedächtig und schaute dann nachdenklich aus dem Fenster in die Dunkelheit. Der Schnee schlug gegen die Scheibe. Mit etwas gutem Willen konnte man in dem Grau in Grau schon einen hellen Streifen ausmachen, der die Morgendämmerung ankündigte. Andersson begann wieder, nervös auf die Tischplatte zu trommeln. Obwohl sie darauf gefasst waren, zuckten alle zusammen, als er plötzlich mit der flachen Hand auf den Tisch schlug.
»Irene, Fredrik und Birgitta sollen sich weiter um den Mädchenmord kümmern. Jonny kümmert sich statt Irene weiter um den Tod von Torleif und zwar zusammen mit Tommy und Hannu. Was den Toten von Brudaremossen angeht, warten wir die Obduktion ab. Der ist jetzt schon so lange tot, dass es auf ein paar Tage nicht mehr ankommt«, entschied er.
Irene war genauso überrascht wie alle anderen im Zimmer. Sie wusste jedoch, warum Andersson die Aufgaben umverteilt hatte. Das Verhältnis zwischen Jonny und Birgitta war sehr gespannt und würde nur ihre gemeinsame Arbeit beeinträchtigen. Der Grund dafür lag bereits sieben Jahre zurück. Damals hatte Birgitta gerade ihre Stelle am Dezernat angetreten. Und sofort hatte Jonny begonnen, ihr – einer hübschen Blondine mit wachen braunen Augen – Avancen zu machen und war dabei, wie gewohnt, recht unsensibel vorgegangen. Bei der Weihnachtsfeier schließlich, war es nicht bei verbalen Annäherungsversuchen geblieben, und da war Birgitta der Kragen geplatzt. Mitten auf der Tanzfläche hatte sie ihm die Leviten gelesen. Die Kollegen hatten ihren Spaß an ihrer unverblümten Ausdrucksweise gehabt.
Als Birgitta im Jahr darauf per Hauspost anonym Fotos aus Pornoheften zugeschickt worden waren, hatte sie sofort Jonny verdächtigt. Später hatte sich herausgestellt, dass ein anderer Kollege dahintersteckte, aber das Verhältnis von Birgitta und Jonny war nicht mehr zu reparieren gewesen. Es hatte sich zwar über die Jahre etwas entspannt, aber richtig gut würde es nie mehr werden.
Einmal hatte Andersson Irene in einem ungewöhnlichen Anfall von Vertraulichkeit gefragt, ob sie glaube, dass es helfen würde, wenn Birgitta die Abteilung wechselte. Da war Irene wütend geworden und hatte ihn angefahren: »Birgitta hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie hat Jonny nie zwischen die Beine gefasst oder ihm irgendwelche obszönen Angebote gemacht.« Der Kommissar hatte sie erstaunt angesehen und wortlos ihr Büro verlassen. Und die Sache danach nie wieder zur Sprache gebracht.
»In fünf Minuten beginnt die Pressekonferenz«, sagte Andersson grimmig.
Er erhob sich, und die Besprechung war beendet.
D as Dezernat für Menschenhandel, in dessen Aufgabenbereich die Beschäftigung mit dem zunehmenden Problem der Zwangsprostitution fiel, war vor sechs Jahren als Versuchsprojekt gestartet worden. Linda Holm hatte als Kriminalinspektorin des Dezernats angefangen, das damals nur aus drei Personen bestand. Im Laufe der Jahre entwickelte sich das Dezernat zu einer permanenten Einrichtung und wurde personell verstärkt. Mittlerweile arbeiteten dort acht Personen. Seit einem Jahr war Linda Holm Kommissarin. Ihr früherer Chef war inzwischen unabhängiger Projektleiter. Er reiste durch das gesamte Land und hielt Vorträge für Polizisten und andere von der Zunahme des Menschenhandels betroffene Berufsgruppen. Irene hatte an dem Informationstag vor einem Jahr teilgenommen, der eigens für die Kollegen vom Dezernat für Gewaltverbrechen veranstaltet worden war.
Kommissarin Linda Holm führte gerade ein Telefongespräch, als sie ihr Büro erreichten. Da die Tür offenstand, ließ es sich nicht vermeiden, einen Teil des Gesprächs mitzuhören.
»Das ist okay. Wie lange sind die Mädchen denn schon hier? Wirklich? Dann müssen wir uns dranhalten.«
Sie verstummte wieder und hörte konzentriert zu. Dabei hob sie den Blick von ihrem Notizblock und sah Irene und Birgitta vor der Tür warten. Sie
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