Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Doktor ihm mit einem wissenden Lächeln erklärt und sich Zeit genommen, ihm ein Untersuchungsinstrument nach dem anderen zu erklären. Julius hatte darauf verzichtet anzumerken, dass er bereits als Arzt gearbeitet hatte und die Instrumente größtenteils alt und schadhaft waren. Der Doktor schien dabei aufzublühen, ihn zu unterweisen, und Julius wollte ihn heute nicht unnötig vor den Kopf stoßen. Feinde hatte er sich inzwischen genug gemacht.
Nach dem dritten Patienten hatte Hirschner Julius gebeten, die Behandlung zu übernehmen, weil ihm nicht gut sei, und beim vierten Patienten, einer Bäckersfrau mit schwerem Husten, war der alte Doktor in seinem Stuhl eingeschlafen. Julius hatte ihn mit Bertes Hilfe nach oben in die Wohnräume gebracht und die Untersuchungen alleine fortgeführt.
Julius wandte den Blick zum Fenster, während das Fräulein Bieker von den Leiden ihrer armen Frau Mutter erzählte, die im vergangenen Sommer an einem Stück Wurst erstickt war. Es war schwer vorzustellen, dass dies nun seine Tätigkeit für den Rest seiner Tage sein sollte, dachte er frustriert. Er murmelte gerade eine halbherzige Zustimmung, obwohl er der Frage gar nicht zugehört hatte, als ihn eine Bewegung vor dem Fenster aufmerken ließ. Ein gerötetes Gesicht unter einem dunklen Hut, das gleich wieder verschwunden war. Im nächsten Moment donnerte jemand an die Haustür, als wollte er sie einreißen.
»Verzeihen Sie«, bat Julius das erschrockene Fräulein und erhob sich mit einem eleganten Lächeln. »Ich muss nachsehen, was so dringend ist.« Gewöhnlich überließ er es Berte, Besucher zu empfangen, doch jetzt war es ein willkommener Anlass, das Gespräch zu unterbrechen.
Es war Fichtner, der beinahe mit der Tür ins Haus stolperte, als Julius ihm öffnete. Hastig machte er einen Schritt zurück und hob seinen Stock, dessen Spitze bedrohlich vor Julius’ Nase kreiste. »Ich habe Sie gewarnt, Laumann!«
Julius verschränkte die Arme und versuchte, unbeteiligt zu tun. Er ahnte, worauf Fichtner hinauswollte, hätte aber nicht geglaubt, dass sich der kugelige Doktor dazu herabließ, höchstpersönlich durch die Fenster zu spähen. Sein Zorn musste tiefer sitzen als Julius ursprünglich angenommen hatte. Wahrscheinlich hatte sich Fichtner den Rücken krummgebuckelt, um sich vor Michaelis und den übrigen Ärzten zu beweisen, und musste dann erleben, dass man wie aus dem Nichts einen anderen Anwärter für das Amt des Stadtphysikus herbeizauberte. In gewisser Weise hatte Julius sogar Mitleid mit dem Doktor, der vermutlich alles, worauf er seit Jahren hingearbeitet hatte, davon schwimmen sah. Allerdings gab es zwei Arten, mit Niederlagen umzugehen, und Fichtner wählte die eindeutig schwächere. Affektgetriebene Rachsucht hatte Julius immer schon verabscheut.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, antwortete er neutral. »Aber Sie können es mir gerne erklären.« Er trat zur Seite und machte eine auffordernde Geste einzutreten.
Man konnte deutlich sehen, wie es in Fichtners Kopf arbeitete, ehe er etwas knurrte und sich an Julius vorbei ins Behandlungszimmer drängte.
Julius folgte ihm und nutzte die Gelegenheit, das Fräulein Bieker höflich hinaus zu bitten. Nachdem er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, wandte er sich Fichtner zu. Der Doktor stand mitten im Raum auf seinen Stock gestützt und machte auch auf Julius’ Aufforderung hin keine Anstalten, sich zu setzen.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«, erkundigte sich Julius höflich, während er sich wie selbstverständlich hinter dem Schreibtisch niederließ.
Fichtner stieß schnaubend Luft aus der Nase aus. »Das fragen Sie noch, Laumann? Ich dachte, die Anweisungen der Deputation waren deutlich genug.«
»Verzeihung, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Nicht?« Fichtners Stock knallte auf den Schreibtisch, dass Julius sich zusammenreißen musste, nicht zusammenzuzucken. »Sie haben keine Erlaubnis zum Praktizieren!«
»Ich weiß.«
»Sie tun es trotzdem.«
Julius seufzte lautlos. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte die Fingerspitzen aufeinander. »Sie waren doch dabei, nicht wahr? Dann erinnern Sie sich auch daran, dass es meine Aufgabe ist, Doktor Hirschner zu entlasten?«
»Sie dürfen nur unter seiner Aufsicht praktizieren.«
»Das habe ich. Bis er eingeschlafen ist. Soll ich von nun an Hilfesuchende fortschicken und ihnen erklären, der Herr Stadtphysikus sei eingeschlafen, ich dürfe leider nichts mehr tun?«
Fichtner starrte
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