Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Lügen, doch Hannes hatte es ihr verboten. Sie würde mit ihren kindischen Rachegelüsten alles verderben, hatte er ihr gesagt, und Greta musste sich eingestehen, dass er recht hatte. Aber es würde ihn sicher interessieren zu erfahren, was die Breuer wollte.
Auf Zehenspitzen schlich Greta zur Tür von Katharinas Kammer und legte das Ohr an das Holz. Es war still auf der anderen Seite. Gewöhnlich summte die junge Hausherrin vor sich hin, wenn sie alleine war, doch davon war nichts zu hören, nicht einmal das Knistern von Papier, wenn man in einem Buch umblätterte oder das Rascheln der Laken unter einem sich rekelnden Körper.
Greta zählte in Gedanken bis zehn, dann legte sie die Hand auf die Klinke und schob die Tür vorsichtig auf. Mit einem raschen Blick versicherte sie sich, dass tatsächlich niemand da war, ehe sie zu dem Tisch hinüber huschte. Ein zusammengefaltetes Stück Papier lag dort neben der erloschenen Lampe. Greta fluchte unterdrückt, als ihr Blick auf das Siegelwachs fiel, das das Dokument verschloss. Das Wachs war noch weich, vermutlich hatte Katharina es gerade erst darauf gedrückt, aber es verhinderte, dass Greta einen Blick auf den Inhalt erhaschen konnte. Unschlüssig hielt sie das Papier in der Hand und überlegte schon, es mitzunehmen und später wieder zurückzulegen, als ein Geräusch an der Tür sie herumfahren ließ.
Katharina Wittgen trug noch immer den Nachtrock, und ihr Haar hing offen über die schmalen Schultern. Einen Herzschlag stand sie da, einen zweiten, während sich ihre Augen erst erschrocken weiteten und dann verengten. Die Lippen zu einem schmalen Spalt aufeinandergepresst, schloss sie wortlos die Tür hinter sich und trat auf Greta zu.
»Ich wollte … «, versuchte Greta sich zu erklären, verstummte aber, als im nächsten Moment eine scharfe Maulschelle ihre Wange traf. Mit einem erstickten Keuchen machte sie einen Schritt zurück und stieß dabei gegen den Tisch. Etwas krachte und schepperte, vermutlich die Lampe, die zu Boden fiel. Doch es blieb ihr keine Zeit darüber nachzudenken, welche Arbeit es machte, das Öl aufzunehmen, denn es folgte sogleich ein weiterer Schlag, der ihre Ohren singen ließ.
»Gib das her!« Das Papier wurde ihr aus den Fingern gerissen. Greta reckte die Hand, um danach zu greifen, doch ein Tritt in den Unterleib ließ sie mit einem erstickten Aufschrei zu Boden gehen. Stöhnend hielt sie sich den Bauch und nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie Katharina ein paar schnelle Schritte zurück machte und das Papier unter ihrem Nachtrock verschwinden ließ. »Raus!«, herrschte sie Greta an. »Verschwinde sofort! Und lass dich nicht wieder blicken!«
Greta rappelte sich auf und schlurfte an ihrer Herrin vorbei zur Tür. »Fassen Sie mich nicht noch einmal an«, presste sie zwischen den Zähnen hervor, ohne dabei aufzuschauen. »Oder ich verrate alles Ihrem Herrn Gemahl.«
Sie hörte, wie Katharina scharf einatmete. »Scher dich raus.«
Greta ging, hielt auch nicht inne, als hinter ihr die Tür ins Schloss flog. Ihre Fingernägel drückten sich schmerzhaft in die Handballen, während sie langsam, Schritt für Schritt, die Treppe hinabstieg. Ihr Ohr pfiff und ihre Wange schien zu glühen, aber dafür würde Katharina Wittgen büßen. Wenn die Zeit reif dafür war und Hannes es endlich erlaubte.
*
Julius kannte diese Patienten, die einfach nicht gehen wollten. Meistens kamen sie mit kleineren Wehwehchen, die kaum einer ernsthaften Behandlung bedurften. Wohlhabend waren sie, diese Patienten, die sich einen Arzt leisten konnten, obwohl ein einfaches Hausmittel geholfen hätte. Aber darum ging es ihnen eigentlich gar nicht. Sie wollten reden, erzählen, von sich und ihren echten und eingebildeten Leiden, und da sie den Arzt dafür bezahlten, erwarteten sie auch, dass er ihnen zuhörte. Oft waren es Frauen, die aus diesem Grund kamen, kinderlose Witwen aus guten Verhältnissen oder unverheiratete Jungfern, die über die Jahre die Hoffnung aufgegeben hatten, doch noch in den Stand der Ehe eintreten zu können. Zu letzteren gehörte auch das Fräulein Bieker, das wegen eines gestauchten Fingers gekommen war und nicht daran dachte zu gehen. Eifrig erzählte sie von den verschiedenen Erkrankungen, die sie im Laufe der Jahre durchgestanden hatte, und schien nicht zu merken, dass Julius’ Antworten immer einsilbiger ausfielen.
Doktor Hirschner hatte ihn heute genötigt, ihm bei der Behandlung zu assistieren. Zuschauen und lernen, hatte der greise
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