Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
an, dann fuhr er fort: »Die Marine war der Dreh- und Angelpunkt. Wenn die Deutschen uns 1916 auf See vernichtet und über das Land eine Blockade verhängt hätten - keine Vorräte wären hereingekommen und keine Truppen hinausgelangt -, dann wären wir binnen sechs Monaten auf den Knien gelegen.«
Joe wusste, dass Armitage nicht übertrieb, als er sagte: »Eine einzige frisierte Botschaft, Captain, mehr wäre nicht nötig.«
Joes Erwiderung kam stockend, unwillig. »Und wenn der Absender Kenntnis der Sprache, des Codes, der drahtlosen Technologie hätte … und, vielleicht am wichtigsten, die Gesamtstrategie verstünde … o mein Gott! Aber würde man einer Frau jemals eine so einflussreiche Position anvertrauen?«
Das ganze Ausmaß dieses Szenarios traf Joe unvermittelt, und er schauderte.
»Die Marine brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass weibliche Rekruten klüger waren als männliche, wenn es um SIGINT ging, und bei der Admiralität glaubt man an Neuerungen - wenn es funktioniert, setzt man es ein. Wenn wieder ein Krieg ausbrechen sollte, dann werden vermutlich die Mädels von Königin Bea oder ähnliche die Fernmeldetruppen leiten. Drahtlose Signale, Codes. Der nächste Krieg wird in den Ätherwellen gewonnen oder verloren, nicht in den Schützengräben. Eine bewusst fehlerhafte Kommunikation aus einer vertrauensvollen Quelle in einem kritischen Augenblick, mehr ist nicht nötig!«
Endlich kannte Joe die schreckliche Wahrheit.
»Wollen Sie damit sagen, Dame Beatrice bereitete sich darauf vor, ihr Land an die Bolschewiken zu verraten?«
Das Lachen von Armitage war höhnisch und triumphierend zugleich. »Mein, Gott, nein! Ich hätte nie gedacht, dass ich mich das einmal sagen hören würde - aber Sie irren sich hier gleich in zwei Punkten, Captain! Zum einen war ihr Land, das Land, dem sie die Treue geschworen hatte, nicht England. Wenn sie die Chance gehabt hätte, dann hätte sie es der britischen Flotte vermasselt und den Sieg für das Land ermöglicht, das ihr wahrhaft am Herzen lag - Deutschland.«
Joe fühlte sich plötzlich im Griff des Entsetzens. Armitage musste jede seiner Bewegungen aufmerksam beobachtet haben. Er zog plötzlich seinen Flachmann mit Brandy heraus. »Darauf einen Schluck, würde ich sagen, Sir. Nur zu!«
Joe war dankbar für die Wärme, die seinen Hals entlangfloss. Zu spät fiel ihm wieder ein, wer ihm die Erfrischung angeboten hatte.
»Ist schon gut«, meinte Armitage amüsiert. »Nur der beste Scotch. Ich werde selbst einen Schluck nehmen.«
»Was für Kopfschmerzen sie den diversen Abteilungen bereitet haben muss, sobald man das herausfand! Aber wie haben Sie davon erfahren?«
»Eine der Frauen, die sich umbrachten - keine Ahnung, welche … ich muss das auch nicht wissen -, hat anscheinend einen Brief an ihren hochrangigen Vater geschrieben, in dem sie alles beichtete und ihn warnte. Daraufhin wurde man rasch aktiv.«
»Aha! Der Stachel!«, sinnierte Joe. »Der giftige Stachel, den sie ausfuhr, tötete das Opfer, aber brachte ihren eigenen Tod über sie. Ich mag ein sauberes, klassisches Ende! Aber ich sehe das Problem: schwer, sie unter Anklage zu stellen, weil sie, technisch gesehen, nichts falsch gemacht hat. Ihr Verbrechen lag in der Zukunft. Vielleicht ›versuchte Verschwörung‹?«
»Sie vergessen ihre Freunde in hohen Positionen.«
»Hätte nicht einer von denen dazu gebracht werden können, sie auf eine Terrasse zu führen und ihr einen Brandy und einen Revolver zu reichen - in der guten, alten britischen Tradition?«
»Dennoch wäre das öffentliche Interesse geweckt worden. Und heutzutage muss man auch noch ständig die Reaktionen der verdammten Presse berücksichtigen. Sie tauchen nicht einfach mehr auf und schreiben mit, was ihnen das Innenministerium diktiert. Dame Beatrice war eine faszinierende Frau und stand im Licht der Öffentlichkeit. Es hätte auf jeden Fall Gerede gegeben - aber der tragische, wenn auch nachvollziehbare Tod durch einen Einbrecher ist nur kurz von Interesse. Diebe, die sich über die Dächer einschleichen, sind zu einer nationalen Obsession geworden - alle haben damit gerechnet, dass irgendwann etwas Derartiges passieren würde. Es war nur eine Frage der Zeit. Dame Beatrice hatte einfach Pech. Niemand macht es etwas aus, wenn die Presse diese Geschichte bringt - soll die Öffentlichkeit es genießen. Aber denken Sie nach, Sir … wenn die Wahrheit über Bienenkönigin Bea ans Licht käme … Denken Sie an den Skandal
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