Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
sicher, meine Mutter wird alles versuchen, um herauszufinden, wer von ihrem Clan noch kreucht und fleucht. Ihr persönliches Vermögen stammt aus Deutschland, darum ist es wohl nur fair, wenn es auch dorthin zurückkehrt.« Er zuckte mit den Schultern.
Joe musste die Offenheit des Mannes einfach bewundern, obwohl seinem leidenschaftslosen Bericht über seine Mutter etwas innewohnte, das Joe Unbehagen verursachte. Er fragte sich kurz, was Sigmund Freud aus dieser Pandorabüchse voller Würmer gemacht hätte.
»Sie hat mir nie verziehen, dass ich ein Lungenleiden bekam, wissen Sie«, fuhr Orlando fort. »Mein Vater - das war drei Jahre vor seinem Tod - machte sich große Sorgen. Ich auch. Er schickte mich in die Schweiz, und dann brach der Krieg aus. Nach der Hälfte war ich so gut wie geheilt und auf dem Weg zu einem einigermaßen stabilen Gesundheitszustand, aber ich beschloss, dort zu bleiben. Ich hätte mich nie zum Kriegsdienst gemeldet. Ich hätte nie jemand töten können. Was hätte es da für einen Sinn gemacht, mir ein Gewehr in die Hand zu drücken und mich aufzufordern, damit zu schießen? Das hätte ich nicht gekonnt! Nicht einmal mit einem meiner schrecklichen deutschen Vettern vor dem Lauf! Ich hätte mich zum Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen erklärt, und man hätte mich für die Dauer des Krieges in ein Gefängnis geworfen oder in eine Marmeladenfabrik gesteckt. Da hätte ich niemanden genutzt. Und hätte meiner Familie zur Schande gereicht.«
»Was haben Sie während Ihres Aufenthalts in der Schweiz gemacht?«, fragte Joe, um das Thema zu wechseln. Er kannte Armitages Einstellung zu Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen und wollte einen Ausbruch verbaler Feindseligkeiten vermeiden.
»Ich habe die Malerei entdeckt«, sagte Orlando mit einem lebhaften Lächeln voller Begeisterung. Seine dunklen Augen wanderten zu seinem unfertigen Gemälde, und seine Aufmerksamkeit ging verloren.
Joe stand auf. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir, unterhalte ich mich kurz mit der jungen Dame … Melisande? … Ich will nur Ihre Abreise und Ihre Rückkehr bestätigen lassen. Dann sind wir auch schon weg.« Er sah zu Armitage und Westhorpe, die sich mit ihm erhoben hatten. »In dem Wohnwagen ist nicht viel Platz. Vielleicht haben Sie beide Lust, zu den Apfelbäumen zu schlendern? Eine Lunge voll Landluft nehmen, bevor wir zurückfahren?«
Er suchte nach der automatischen Zurschaustellung von Missvergnügen angesichts seines Vorschlags, konnte sie aber zu seiner Überraschung nicht finden. Beide nickten und gingen in Richtung Obstgarten, sahen dabei in Armitages Notizbuch und unterhielten sich murmelnd.
Joe näherte sich der offenen Tür des Wohnwagens. Es war mucksmäuschenstill. War sie eingeschlafen? Zögernd rief er: »Hallo. Ich bin’s, Sandilands. Ich stehe am Eingang. Entschuldigen Sie bitte.«
»Kommen Sie herein, Officer. Das hat aber nicht sehr lange gedauert! Ich könnte ja zu Ihnen hinauskommen, aber ich glaube, Sie würden gern das Innere des Wohnwagens sehen, nicht? Das will jeder!« Ihre Stimme war unbekümmert und attraktiv, mit dem Hauch eines ländlichen Dialekts, den er nicht zuordnen konnte.
Er stieg die Holztreppe hoch und trat in einen kleinen, dunklen Raum. Mel lag mit hochgelagerten Füßen auf einem Diwan, der die gesamte Länge des Wohnwagens einnahm. Töpfe und Pfannen hingen an Haken an der Decke, und Berge mit Künstlerutensilien lagen auf dem Boden herum, konkurrierten mit Körben, in denen Kleider und Decken lagen, um den verfügbaren Platz. Joe sah sich unsicher um.
»So aufgeräumt ist es für gewöhnlich nicht«, meinte Mel. »Sie hätten es sehen sollen, als wir alle nach Frankreich gefahren sind. Setzen Sie sich hierher.« Sie stellte die Beine schwungvoll auf den Boden und klopfte auf den Platz neben sich auf dem Diwan.
»Sehr reizvoll und romantisch«, erklärte Joe, der sein Konversationstalent schlagartig wiederfand. »Die Kinder müssen es lieben, ein solch herrliches Versteck auf dem Grundstück zu haben.«
»Sind Sie des Wahnsinns! Der Wohnwagen ist Schrott. Das Beste, was mit ihm passieren könnte, wäre, wenn ihn jemand in Brand steckte. Das Leinsamenöl und Terpentin, die Teppiche und das ganze Zeug, das hier herumliegt - eine wahre Todesfalle. Rauchen Sie?«
»Nur Zigarren und auch nur nach dem Abendessen«, erwiderte Joe vorsichtig.
»Gut. Würde nicht wollen, dass ein Bulle sich selbst in die Luft jagt. Man würde mir die Schuld dafür
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