Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
KAPITEL
»Würden Sie mir bitte sagen, inwiefern der Tod Ihrer Schwester Ihr Leben beeinflussen wird?«, bat Joe.
»Gut, dass Sie mich der Qual, meine Aufenthaltsorte darzulegen, ausgesetzt haben, bevor Sie mir so eine Frage stellten«, meinte Orlando leichthin, »sonst hätte ich mich nur selbst belastet. Ach, es steht ohnehin alles in den Akten. Ein Anruf bei einem Anwalt legt sowieso die Fakten offen, da kann ich Sie auch gleich mit meiner Offenheit und Ehrlichkeit beeindrucken.« Er zog eine abgenutzt aussehende, alte Pfeife sowie einen Tabaksbeutel aus seiner ausgebeulten Jackentasche und betrachtete sie nachdenklich. »Ich werde Ihnen nichts zu rauchen anbieten. Ich wette, nichts, was rauer ist als der beste Virginia-Tabak, kommt über Ihre Polizistenlippen.«
Es folgte die scheinbar unendlich lange Pause, in der ein Pfeifenraucher seine Augen halb schließt und pafft, blind für sein Publikum. Oder sich seines Publikums nur allzu bewusst ist, seine Gedanken sammelt und auf eine höchst aufreizende Weise Zeit schindet. »Meine reiche, alte Frau Mutter«, fuhr er fort, offenbar endlich zufrieden mit den beißenden Rauchkringeln, die er produzierte, »die übrigens den Anschein vermittelt, als ob sie locker hundert Jahre alt wird, hat ihr weltliches Hab und Gut ausschließlich meiner Schwester zugedacht. Ich habe keine Ahnung, was sie jetzt tun wird. Ein misstrauischer Geist könnte annehmen, dass sie ihr Geld nun ihrem einzig verbliebenen Kind - nämlich mir - hinterlassen wird. Aber das wäre ein Geist, der meine Mama nicht kennt. Ebenso wahrscheinlich ist - nein, sehr viel wahrscheinlicher ist, dass sie das Vermögen einer wohltätigen Organisation hinterlässt. Oder einer nicht so wohltätigen Organisation. Wenn ich Geld hätte, um darauf zu wetten, würde ich tippen, dass es eine Frauenorganisation wird - die Suffragetten oder die Marinehelferinnen. Die werden plötzlich in Geld schwimmen, wenn sie endlich den Anker einholt.«
»Und das Haus und das Grundstück?«
»Gehören mir. Wurden mir von meinem Vater vermacht. Obwohl ich nicht das Geld habe, um beides zu unterhalten. Darum werde ich das Ganze wohl verkaufen müssen. Über ihren Kopf hinweg, wenn es sein muss. In einem Jahr, Commander, sehen Sie mich wieder auf dem Weg nach Südfrankreich. Mel liebt das Leben da drüben … die Wärme, den Wein, die Leute … sie hat gelernt, Daube und Pasta zu kochen … aber das nächste Mal nehme ich mit meiner Familie den Train Bleu und wir wohnen in einem Hotel, während wir uns ein kleines Bauernhaus mit Blick auf das Meer suchen. Wir sind fest entschlossen, das zu tun, egal was kommt. Beas Tod hat meine Pläne also nicht im Geringsten verändert, könnte man sagen!«
»Hat Ihre Mutter keine anderen Verwandten, denen sie ihr Vermögen hinterlassen könnte?«, fragte Westhorpe.
Orlando zeigte keine Überraschung angesichts der Tatsache, dass er plötzlich von dem jüngsten und weiblichen Mitglied der Beamten angesprochen wurde. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte er, ganz interessiert. »Schwer zu sagen, weil ihre Familie nicht in diesem Land lebt, wissen Sie … Sie wussten es nicht? Ach so. Nun ja, sie ist Deutsche. Wurde in England erzogen, darum gibt es nicht die Spur eines Akzents. Großvater war Botschafter und jahrelang hier tätig. Nachdem sie meinen Vater geheiratet hatte, ist sie kaum je in ihr Heimatland zurückgekehrt.«
»Ah, ich verstehe«, sagte Joe in blitzartiger Erkenntnis. »Jagow. Der Mädchenname Ihrer Mutter - nicht Jago und aus Cornwall, wie ich vermutete, sondern Jagow .« Er betonte es wie ein Deutscher.
Orlando nickte. »Stimmt. Fügen Sie noch ein ›von‹ hinzu, von Jagow, und dann haben Sie es. Aber nach ihrer Eheschließung wurde alles an meiner Mutter englischer als bei den Engländern, einschließlich ihres Namens, obwohl sie den Kontakt zu ihrer Familie aufrechterhielt. Beatrice wurde ermutigt, die Sommerferien im Schloss der Ahnen zu verbringen. Sie beherrschte die Sprache perfekt - das war eine der vielen Eigenschaften, die sie für die Marinehelferinnen unentbehrlich machten. Ich bin einmal mit ihr hingefahren. War kein Erfolg! Meine kräftigen deutschen Vettern schlugen mich zu Brei, und es wurde angedeutet, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich nicht wiederkäme. Ich frage mich, wo diese Vettern heute sind. Wahrscheinlich haben sie den Krieg nicht überlebt. Sie gehörten zu der Sorte, die geradewegs an die vorderste Frontlinie marschiert. Ich bin
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