Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
wem. Und wenn es von einem Polizisten kommt, wird es noch mehr geschätzt. Kann nicht gerade behaupten, dass ich schon einmal einen einfühlsamen Polizisten getroffen hätte, aber für euer Verständnis seid ihr Jungs ja auch nicht gerade berühmt.«
»Das ist das Wichtigste, was wir haben müssen«, widersprach Joe. »Obwohl die Leute, mit denen ich rede, für gewöhnlich vermeiden wollen, von mir verstanden zu werden. Aber sagen Sie, können Sie sich auf Orlandos Mutter verlassen, wenn Sie Hilfe brauchen? Ich meine, wenn die Niederkunft naht?«
»O nein!«, rief sie entschlossen. »Noch ein weiteres illegitimes Baby, das sie in Misskredit bringt. Sie wird keinen Finger rühren. Meine Familie hat mich schon vor Jahren verstoßen - sie wissen nicht, wo ich bin oder wie es mir geht. Es gibt eine Frau im Dorf - Grandnanny Tilling nennen die Kinder sie -, und sie hat versprochen herzukommen und zu helfen, wenn ich nach ihr schicke. Und dann gibt es noch Yallop, der die Handlangerarbeiten auf dem Anwesen übernimmt. Der gute, alte Yallop! Er wird Orlando immer zur Seite stehen!«
»Yallop?«
»Stallbursche, Chauffeur. Soldat. Er war ein verwegener Sergeant bei den königlichen Dragoon Guards. Er hat allen Kindern das Reiten beigebracht. Bei einem ländlichen Reitturnier würden sie nicht weit kommen, aber alle bleiben fest auf dem Pferd sitzen, mit oder ohne Sattel. Yallop ist sehr zäh, und man könnte denken, er würde von einem Mann wie Orlando nichts halten, aber er ist immer da, wenn er ihn braucht.«
Sie wühlte in einer Schublade und zog einen faltbaren Fotorahmen heraus, in dem sich drei Sepia-Aufnahmen befanden. »Hier ist sie - die Orlandogalerie«, sagte sie mit einem Lächeln. »Das ist Yallop, zur Linken.«
Joe hielt den Rahmen ins Licht und konnte gerade noch zwei Gestalten zu Pferde ausmachen. Er sah einen schlanken, jungen Mann, der Orlando vor der Schweiz, vermutete er, und eine kompaktere Gestalt mittleren Alters, die locker im Sattel saß. Das musste Yallop sein. Bevor er den Rahmen zurückgab, betrachtete er rasch die beiden anderen Fotos. In der Mitte posierte Orlando mit zwei Kindern zu seinen Füßen und zwei auf seinen Knien, und auf dem rechten Foto, einer Aufnahme aus dem Hochgebirge, hing ein Mann in schwerem Tweed und mit Lederhelm an einem Seil von einem Felsüberhang.
»Ist das wirklich Orlando?«, fragte er.
Mel grinste. »Das behauptet er wenigstens. Er lernte das Klettern, als er in der Schweiz war. Sagt, das habe seine Krankheit geheilt. Die ganze schneidend kalte Luft, die durch seine Lungen fuhr!« Sie schauderte. »Vermutlich heilt es einen wirklich, wenn es einen nicht gleich umbringt. Er sagt, als er seiner Schwester dieses Foto zeigte, habe sie gelacht und lauthals verkündet, es sei gefälscht - das könne nicht Orlando auf dem Foto sein, weil man zum Klettern Mut brauche und ihr kleiner Bruder nicht den Nerv habe, seine Füße vom Boden zu nehmen. Sie war eine Kuh, Commander! Wer immer dieser Einbrecher auch war, ich hoffe, er kommt davon. Mitsamt den Smaragden. Sollte er jemals gefasst werden, müsste man ihm einen Orden verleihen, wenn es nach mir ginge.«
Joe beendete die Befragung und war sich flüchtig bewusst, dass sie es vorgezogen hätte, wenn er bliebe. Eine Sekunde lang streckte sie ihre Hand nach ihm aus, ohne ihn wirklich zu berühren, die Hand einer Frau, die in ihrem eigenen Meer der Unsicherheit ertrank, dann zog sie die Hand zurück. »Es war nett, mit Ihnen zu plaudern, Commander«, sagte sie und fügte entwaffnend hinzu: »Wir bekommen hier nicht oft Besuch.«
Er zog eine Visitenkarte aus seiner Tasche. »Hier ist meine Adresse und die Telefonnummer meines Büros im Yard«, sagte er. »Wenn Sie mit mir reden möchten, dann rufen Sie mich bitte an.« Einem Impuls folgend, zog er einen Stift heraus und schrieb eine Nummer auf die Rückseite der Karte. »Meine Schwester Lydia wohnt nicht weit von hier … auf dieser Seite von Godalming … sie ist eine fähige, findige Frau mit zwei kleinen Töchtern. Wenn Sie das Bedürfnis nach dem Rat einer vernünftigen Frau haben oder wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie diese Nummer an.«
Mel nahm die Karte, sah sie an und steckte sie in die Schublade mit den Fotos. »Dankeschön, Commander«, sagte sie ernsthaft. »Vielleicht tue ich das tatsächlich, aber nur, um ihr zu sagen, was für einen netten Bruder sie hat.«
Joe sammelte seine Assistenten ein, und nach einer weiteren kurzen Unterhaltung mit Orlando und
Weitere Kostenlose Bücher