Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
wissen, wozu Sie sie brauchen. Vielleicht ahnt sie’s ohnehin. Und dann wollen Sie
    noch hundert Dollar, wie Sie sagten.«
    »Das geht in Ordnung«, sagte ich. »Das habe ich nur so gesagt, als
    17
    Sie auf mir herumtrampelten.«
    Er grinste. Ich stand auf, blieb aber zögernd an seinem Schreibtisch
    stehen und blickte ihn an. Nach einer Weile sagte ich: »Sie verheim‐
    lichen mir doch nichts? Jedenfalls nichts Wichtiges?«
    Er betrachtete seinen Daumen: »Nein, ich verheimliche Ihnen
    nichts. Ich mache mir nur Sorgen, und ich möchte wissen, wo sie steckt. Ich mache mir verdammt große Sorgen. Wenn Sie irgendwas
    herausfinden, rufen Sie mich an. Jederzeit, bei Tag und Nacht.«
    Ich versprach ihm das, wir schüttelten uns die Hände und ich ging
    durch das lange kühle Büro zurück und durch die Tür, wo Miss Fromsett elegant an ihrem Tisch saß.
    »Mr. Kingsley meint, daß Sie Chris Laverys Adresse für mich hät‐
    ten«, sagte ich, wobei ich ihr Gesicht beobachtete.
    Sie griff sehr langsam nach einem ledergebundenen Adreßbuch
    und blätterte drin. Als sie antwortete, klang ihre Stimme seltsam gepreßt:
    »Die Adresse, die wir hier haben, heißt 623 Altair Street, Bay City,
    die Telefonnummer Bay City i 25 23. Mr. Lavery arbeitet schon seit
    über einem Jahr nicht mehr für uns. Kann also sein, daß er umgezo‐
    gen ist.«
    Ich bedankte mich und ging zur Ausgangstür. Von dort sah ich
    nochmals zu ihr zurück. Sie saß völlig ruhig da, die Hände auf dem
    Tisch gefaltet, und blickte ins Leere. Leichte rötliche Flecken brann‐
    ten auf ihren Wangen. Ihre Augen blickten abwesend und bitter.
    Ich hatte den Eindruck, daß sie Mr. Chris Lavery nicht in besonders angenehmer Erinnerung hatte.

    Die Altair Street verlief am inneren Rand des V‐förmigen Zipfels eines tiefen Canons. Im Norden hörte man das kühle, blaue Rau-schen der Bucht von Malibu, im Süden erstreckte sich der Badeort Bay City entlang eines schroffen Felsenufers genau über dem Kü‐
    sten‐Highway.
    18
    Es war eine kurze Straße, nur drei oder vier Blocks lang; sie endete
    an einer hohen eisernen Umzäunung, die ein Riesengrundstück ab‐
    schloß. Durch die vergoldeten Spitzen des Gitters konnte man Bäu‐
    me und Sträucher sehen, den Schimmer des Rasens und ein Stück eines gewundenen Fahrwegs, das Haus selbst jedoch blieb unsichtbar. Auf der Landseite waren die Häuser der Altair Street gepflegt und ziemlich groß, die wenigen verstreuten Bungalows am Rand
    des Canons jedoch machten nicht viel her. In dem kurzen Halb‐
    block, den der Eisenzaun abgrenzte, standen nur zwei Häuser durch
    die Straße getrennt einander genau gegenüber. Das kleinere hatte die Nummer 623.
    Ich fuhr am Haus vorbei, wendete auf der gepflasterten Kehre am
    Ende der Straße und fuhr zurück, um vor dem gegenüberliegenden
    Grundstück zu parken. Laverys Haus war nach unten gebaut, eines
    dieser in den Berg gekrallten Dinger, mit seiner Eingangstür unter‐
    halb des Straßenniveaus, seinem Patio auf dem Dach, den Schlaf-zimmern im Souterrain und einer Garage, die an dem Haus klebte wie der Croupier an seinem Spieltisch. Karmesinrote Kletterrosen fächerten gegen die Vorderfront, und die kleinen Platten des Ein-gangsweges waren von Koreanischem Moos umsäumt. Die Ein‐
    gangstür war schmal, hatte eine Gitterverzierung und eine Spitzbo‐
    genüberdachung. Unter dem Gitter war ein eiserner Klopfer. Ich
    klopfte drauflos.
    Nichts rührte sich. Ich drückte auf die Klingel seitlich der Tür, hör‐
    te sie drinnen ziemlich nah läuten und wartete, aber nichts rührte sich. Ich arbeitete wieder am Klopfer. Wieder nichts. Ich ging den Weg zurück, hinüber zur Garage und hob deren Tür gerade so weit,
    daß ich die Weißwandreifen eines Wagens sehen konnte. Dann ging
    ich zur Eingangstür zurück.
    Ein hübsches schwarzes Cadillac‐Coupe fuhr aus der Garage ge‐
    genüber, setzte zurück, wendete und verlangsamte seine Fahrt, als es an Laverys Haus vorbeikam, und ein hagerer Mann mit dunkler
    Brille sah mich scharf an, so als hätte ich hier absolut nichts verlo-19
    ren. Ich schenkte ihm meinen frostigsten Blick, und er fuhr weiter.
    Ich ging wieder zur Haustür zurück und hantierte erneut am
    Klopfer herum. Diesmal mit Erfolg. Ein Türfenster wurde geöffnet,
    und ich sah durch die Gitterstäbe in ein hübsches Gesicht mit hellen
    Augen.
    »Was soll der Höllenlärm?« sagte eine Stimme.
    »Mr. Lavery?«
    Er sagte, daß er Mr. Lavery sei und was es denn

Weitere Kostenlose Bücher