Die Tote ohne Namen
Wochenende nehmen. Was halten Sie davon?«
Sie blickte weiterhin auf den Boden. »Ich glaube, ich habe ihn gesehen«, sagte sie und biß sich auf die Lippe.
»Wen haben Sie gesehen?«
»Den Mann.« Jetzt sah sie mir in die Augen. »Als ich die Bilder im Fernsehen gesehen habe, konnte ich es erst gar nicht glauben. Jetzt denke ich immer, wenn ich es nur jemandem erzählt hätte.«
»Wo haben Sie ihn gesehen?«
»Rumors.«
»Die Bar?«
Sie nickte.
»Wann?«
»Dienstag.«
»Letzten Dienstag? Der Tag nach Weihnachten?«
An diesem Abend war Gault in New York gewesen. Ich hatte ihn im Subway-Tunnel gesehen, oder zumindest hatte ich das geglaubt.
»Ja, Ma'am. So ungefähr um zehn. Ich war mit Tommy zum Tanzen.« Ich wußte nicht, wer Tommy war.
»Er stand abseits von allen anderen. Mir ist er aufgefallen wegen seiner weißen Haare. Leute in seinem Alter haben normalerweise keine weißen Haare. Er trug einen schicken schwarzen Anzug und ein schwarzes T-Shirt darunter. Daran erinnere ich mich. Ich hab mir gedacht, daß er von auswärts kommt. Vielleicht aus einer Großstadt wie Los Angeles oder so.«
»Hat er mit jemandem getanzt?«
»Ja, Ma'am, er hat mit einem oder zwei Mädchen getanzt. Hat ihnen einen Drink spendiert. Und dann war er plötzlich verschwunden.«
»Ist er allein gegangen?«
»Ich glaube, eins der Mädchen ist mitgegangen.«
»Kannten Sie sie?« fragte ich entsetzt. Ich hoffte, wer immer die Frau gewesen war, daß sie noch lebte.
»Nein, ich kannte sie nicht«, sagte Jennifer. »Ich erinnere mich nur, daß er mit ihr getanzt hat. Bestimmt dreimal, und dann sind sie händchenhaltend von der Tanzfläche gegangen.«
»Beschreiben Sie sie.«
»Sie war schwarz. Sie sah unheimlich hübsch aus in dem roten Kleid. Es war tief ausgeschnitten und ziemlich kurz. Ihr Lippenstift war knallrot, und sie hatte ganz viele Zöpfchen, in denen kleine Lichter blinkten.«
»Und Sie sind sicher, daß sie zusammen weggegangen sind?«
»Soweit ich es mitgekriegt habe, ja. An dem Abend habe ich keinen der beiden noch einmal gesehen, und Tommy und ich sind bis zwei Uhr geblieben.«
»Ich möchte, daß Sie Captain Marino anrufen und ihm alles erzählen, was Sie mir eben erzählt haben.«
Jennifer stand auf. Jetzt fühlte sie sich wichtig. »Das werde ich sofort machen.«
Ich ging in mein Büro und traf Rose auf der Schwelle. »Sie sollen Dr. Gruber anrufen«, sagte sie. Ich wählte die Nummer des Quartermaster Museums, aber er war nicht da. Zwei Stunden später rief er mich zurück. »Wie ist der Schnee in Petersburg?« »Naß und matschig.«
»Was gibt es Neues?«
»Ich habe etwas für Sie. Und ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen«, sagte Dr. Gruber.
Ich wartete, daß er weitersprach. Als das nicht geschah, fragte ich ihn: »Weswegen haben Sie ein schlechtes Gewissen?«
»Ich habe in unserem Computer nach ihm gesucht. Das hätte ich nicht tun dürfen.« Wieder schwieg er.
»Dr. Gruber, wir haben es hier mit einem Serienmörder zu tun.«
»Er war nicht in der Armee.« »Sie meinen seinen Vater«, sagte ich enttäuscht. »Keiner von beiden. Weder Temple noch Peyton Gault.« »Dann stammen die Schuhe wohl aus einem Armeeladen. « »Vielleicht. Vielleicht hat er aber auch einen Onkel.« »Wer hat einen Onkel?«
»Temple Gault. Wir haben einen Gault im Computer, sein Vorname ist Luther. Luther Gault. Er hat während des Zweiten Weltkriegs im Quartermaster Corps gedient und war ziemlich lange Zeit hier in Fort Lee.«
Ich hatte noch nie von einem Luther Gault gehört. »Lebt er noch?« fragte ich.
»Er ist vor fünf Jahren in Seattle gestorben.«
»Wie kommen Sie darauf, daß dieser Mann Temple Gaults Onkel sein könnte? Seattle ist auf der anderen Seite des Kontinents. Die Gaults stammen aus Georgia.«
»Die einzig wirkliche Verbindung sind der Nachname und Fort Lee.«
»Halten Sie es für möglich, daß die Stiefel früher ihm gehörten?«
»Sie stammen aus dem Zweiten Weltkrieg und wurden in Fort Lee getestet, wo Luther Gault am längsten stationiert war.
Normalerweise werden Soldaten, manchmal sogar Offiziere gebeten, Stiefel oder Kleidungsstücke zu testen, bevor die Sachen den Jungs an der Front geschickt werden.«
»Was hat Luther Gault getan, nachdem er aus der Armee ausgeschieden ist?«
»Darüber habe ich keine Informationen. Ich weiß nur, daß er in der Armee Karriere gemacht hat und als General in den Ruhestand versetzt wurde. Er starb mit 78.«
»Und Sie hatten noch nie von ihm
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