Die Tote ohne Namen
gehört?« »Das habe ich nicht gesagt. Ich bin sicher, daß die Armee eine dicke Akte über ihn hat. Aber da ist schwer ranzukommen.« »Haben Sie ein Foto?«
»Im Computer ist eins - das übliche Durchschnittsfoto für die Akten.« »Könnten Sie es faxen?« Er zögerte. »Ja.«
Ich legte auf, als Rose mit den Autopsieberichten vom Vortag hereinkam. Ich sah sie durch und korrigierte sie, während ich auf das Fax wartete. Kurz darauf klingelte das Gerät, und das Schwarzweißfoto von Luther Gault materialisierte sich in meinem Büro. Er stand stolz und aufrecht da, in einer dunklen Ausgeh-Uniform mit goldenen Paspeln und Knöpfen und Satinrevers. Die Ähnlichkeit war unverkennbar. Temple Gault hatte seine Augen.
Ich rief Wesley an.
»Temple Gault hatte wahrscheinlich einen Onkel in Seattle«, sagte ich. »Er war General in der Armee.«
»Woher weißt du das?« fragte er kühl.
Er verhielt sich sehr reserviert. Das gefiel mir nicht. »Das spielt keine Rolle. Allerdings glaube ich, daß wir alles über ihn herausfinden sollten.«
Wesley blieb weiterhin reserviert. »Was hat er mit unserem Fall zu tun?«
Ich wurde wütend. »Wozu diese Frage, wenn wir versuchen, einen Serienmörder dingfest zu machen? Wenn man nichts in der Hand hat, nimmt man, was man kriegen kann.«
»Sicher, sicher«, sagte er. »Kein Problem, aber im Augenblick geht es nicht. Bis dann.« Er legte auf.
Ich saß verdattert da, mein Herz schmerzte. Jemand mußte bei ihm im Büro gewesen sein. Nie zuvo r hatte Wesley einfach so ein Gespräch abgebrochen. Ich ging zu Lucy und wurde immer wütender.
»Hallo«, sagte sie, bevor ich sie ansprechen konnte. Sie sah mein Spiegelbild auf dem Bildschirm.
»Wir müssen los«, sagte ich.
»Warum? Schneit es schon wieder?«
»Nein. Die Sonne scheint.«
»Ich bin fast fertig.« Sie tippte etwas ein, während sie sprach. »Ich muß dich und Janet nach Quantico zurückbringen.« »Du mußt Großmutter anrufen. Sie fühlt sich vernachlässigt.« »Sie fühlt sich vernachlässigt, und ich fühle mich schuldig.« Lucy drehte sich um und sah mich an, als mein Piepser losging.
»Wo ist Janet?« fragte ich.
»Ich glaube, sie ist runtergegangen.«
Ich drückte auf einen Knopf, und Marinos Privatnummer leuchtete auf. »Treib sie auf, und wir treffen uns in ein paar Minuten unten.«
Ich kehrte in mein Büro zurück und schloß die Tür. Als Marino sich meldete, klang er, als hätte er Amphetamine geschluckt.
»Sie sind verschwunden«, sagte er.
»Wer?«
»Wir haben herausgefunden, wo sie gewohnt haben. Das Hacienda Motel an der US 1, diese Kakerlakenbude in der Nähe von dem Laden, wo du deine Knarren und die Munition kaufst. Dorthin hat die Nutte ihre Freundin mitgenommen. «
»Welche Freundin?« Ich wußte immer noch nicht, wovon er sprach. Dann fiel mir Jennifer ein. »Ach so. Die Frau, die Carrie im Rumors aufgegabelt hat.«
»Genau.« Er war unglaublich aufgeregt. »Sie heißt Apollonia und -«
»Sie lebt?«
»Ja. Carrie hat sie mit ins Motel genommen, und dort haben sie eine Party veranstaltet.«
»Wer ist gefahren?«
»Apollonia.«
»Hast du meinen Kombi auf dem Motelparkplatz gefunden?«
»Nein. Als wir dort ankamen, war er nicht da. Und die Zimmer waren schon aufgeräumt. Es ist, als ob sie nie dort gewesen wären.«
»Dann war Carrie letzten Dienstag nicht in New York.«
»Nee. Sie hat hier 'ne Party gefeiert, als Gault dort Jimmy Davila umgebracht hat. Ich denke, daß sie hier ein warmes Plätzchen für ihn gefunden und ihn wahrscheinlich auf dem laufenden gehalten hat.«
»Ich bezweifle, daß er von New York nach Richmond geflogen ist«, sagte ich. »Das wäre zu riskant gewesen.«
»Ich persönlich glaube, daß er am Mittwoch nach Washington geflogen ist.«
»Marino, ich bin am Mittwoch nach Washington geflogen.« »Ich weiß. Vielleicht wart ihr im selben Flugzeug.« »Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Woher willst du das wissen? Aber wenn ihr im selben Flugzeug wart, hat er dich bestimmt gesehen.«
Ich erinnerte mich, wie ich aus dem Terminal ging und in das alte verbeulte Taxi mit den getönten Fensterscheiben und den defekten Schlössern stieg. Und fragte mich, ob Gault mich dabei beobachtet hatte.
»Hat Carrie ein Auto?« fragte ich.
»Ein Saab-Cabrio ist auf ihren Namen registriert. Aber dieser Tage fährt sie bestimmt nicht damit rum.«
»Ich möchte wissen, warum sie diese Apollonia aufgegabelt hat. Wie hast du sie gefunden?«
»Das war ein Kinderspiel. Sie arbeitet
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