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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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genau schicken Sie es?«
    »Nach New York, wo Jayne ist.«
    »Wohin in New York, Mrs. Gault? Und wie oft haben Sie das schon gemacht?«
    »Ich schicke es an eine Apotheke. Weil sie ihre Medikamente kaufen muß.«
    »Gegen ihre Anfälle. Diphenylhydantoin.«
    »Jayne hat gesagt, daß es kein sehr guter Stadtteil ist.« Sie stickte weiter. »Die Straße heißt Houston. Aber man spricht sie anders aus als die Stadt in Texas.«
    »Houston und?« fragte ich.
    »Was meinen Sie?« Sie begann, sich aufzuregen.
    »Eine Straßenecke. Ich brauche eine Adresse.«
    »Wozu um alles in der Welt?«
    »Weil Ihre Tochter vielleicht dorthin gegangen ist, kurz bevor sie starb.«
    Sie stickte schneller, ihr Mund war eine dünne Linie. »Bitte, helfen Sie mir, Mrs. Gault.«
    »Sie fährt viel mit dem Bus. Sie sagt, sie kann Amerika vorübergleiten sehen wie einen Film, wenn sie im Bus sitzt.«
    »Ich weiß, Sie wollen nicht, daß noch mehr Menschen sterben müssen.«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Bitte.«
    »Lieber Gott, ich geh zur Ruh.« »Was?« sagte ich.
    »Rachael.« Mr. Gault kehrte zurück. »Es gibt kein Eis.« »Schließe meine Äuglein zu.« Verständnislos sah ich ihren Mann an.
    »Lieber Gott, ich geh zur Ruh, schließe meine Äuglein zu«, sagte er und sah sie an. »Als die Kinder klein waren, haben wir das jeden Abend mit ihnen gebetet. Meinst du das, Liebling?«
    »Die Frage für Western Union«, sagte sie.
    »Weil Jayne sich nicht ausweisen konnte«, sagte ich. »Natürlich. Sie mußte die Zeilen aufsagen, damit sie das Geld und die Medikamente bekam.«
    »Genau. So machen wir es immer. Seit Jahren.« »Und was ist mit Temple?« »Mit ihm auch.«
    Mr. Gault rieb sich das Gesicht. »Rachael, du hast ihm doch kein Geld geschickt. Bitte, erzähl mir nicht -«
    »Es ist mein Geld. Ich habe mein eigenes Geld von meiner Familie, genau wie du.« Sie fing wieder an zu sticken und drehte das Stück Stoff auf ihrem Schoß hin und her.
    »Mrs. Gault«, sagte ich, »wußte Temple, daß Jayne über Western Union Geld erwartete?«
    »Natürlich wußte er das. Er ist ihr Bruder. Er hat gesagt, daß er es für sie abholt, weil sie sich nicht wohl fühlt. Seit das Pferd sie abgeworfen hat. Sie war nie so hell im Kopf wie Temple. Und ihm habe ich auch ein bißchen was geschickt.«
    »Wie oft schicken Sie ihr Geld?«
    Sie knotete einen Faden und blickte sich um, als hätte sie etwas verloren.
    »Mrs. Gault, ich werde nicht eher gehen, bis Sie meine Frage beantwortet haben oder mich hinauswerfen.«
    »Nach Luthers Tod hat sich niemand um Jayne gekümmert, und hierher wollte sie nicht kommen«, sagte sie. »Und in eins dieser Heime wollte Jayne auch nicht. Deswegen hat sie mir immer gesagt, wo sie ist, und ich half ihr, wenn ich konnte.«
    »Das hast du mir nie erzählt.« Ihr Mann war niedergeschmettert.
    »Seit wann war sie in New York?« fragte ich.
    »Seit dem ersten Dezember. Ich hab ihr regelmäßig Geld geschickt, immer nur wenig. Mal fünfzig Dollar, mal hundert. Letzten Samstag wieder. Deswegen weiß ich, daß es ihr gutgeht. Sie hat die Zeilen aufgesagt. Sie war in der Apotheke.«
    Ich fragte mich, seit wann Gault das Geld seiner armen Schwester abfing. Ich verachtete ihn in einem Maß, das mich erschreckte.
    »In Philadelphia hat es ihr nicht gefallen«, fuhr Mrs. Gault fort. Sie sprach jetzt schneller. »Dort war sie, bevor sie nach New York ging. Das ist vielleicht eine Stadt der brüderlichen Liebe, also wirklich. Dort hat jemand ihre Flöte gestohlen. Hat sie ihr einfach aus der Hand gerissen.«
    »Ihre Blechflöte?«
    »Ihr Saxophon. Wissen Sie, mein Vater hat Geige gespielt. « Mr. Gault und ich starrten sie an.
    »Vielleicht war es das Saxophon, das man ihr gestohlen hat. Ach, ich weiß gar nicht mehr, wo sie überall gewesen ist. Liebling? Erinnerst du dich, wie sie an ihrem Geburtstag hier war und mit dem Hund zwischen den Pekanbäumen spazierengegangen ist?« Ihre Hände hielten inne.
    »Das war in Albany. Nicht hier. Wir sind umgezogen.« Sie schloß die Augen. »Sie war fünfundzwanzig, und noch nie hatte sie ein Mann geküßt.« Sie lachte. »Ich erinnere mich, wie sie auf dem Klavier >Happy Birthday< gespielt hat. Ganz laut. Und dann ist Temple mit ihr in den Stall gegangen. Sie würde überall mit ihm hingehen. Ich hab nie verstanden, warum. Aber Temple kann sehr charmant sein.«
    Eine Träne schimmerte zwischen ihren Wimpern.
    »Sie ist auf diesem verdammten Pferd Priss weggeritten und nie zurückgekommen.« Mehr

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