Die Tote ohne Namen
hatte einen nicht ganz geschlossenen Biß und halbkreisförmige Abnutzungen an den Schneidezähnen, die davon rühren konnten, daß sie auf einer Pfeife herumgekaut hatte. Graham wußte, daß man sie mit einer Pfeife in der Hand gesehen hatte.
»Wenn sie gewohnheitsmäßige Pfeifenraucherin gewesen ist, müßten ihre Zähne dann nicht vom Tabak verfärbt sein?« fragte ich, denn ihre Zähne wiesen keine Verfärbungen auf.
»Möglicherweise. Aber sehen Sie nur, wie erodiert die Oberflächen ihrer Zähne sind - diese Ausschürfungen am Zahnfleischrand haben die Blattgoldfüllungen erforderlich gemacht. Der größte Teil ihrer Zahnschäden rührt von zwanghaftem Putzen her.«
»Wenn sie sich zehnmal am Tag wie verrückt die Zähne geputzt hat, können sich die Zähne auch nicht verfärbt haben«, sagte Marino.
»Sich zehnmal am Tag die Zähne zu putzen paßt nicht zu ihrem sonstigen hygienischen Zustand«, sagte ich. »Ihr Mund scheint überhaupt nicht zu ihr zu passen.«
»Können Sie uns sagen, wo diese Füllungen gemacht wurden?« fragte Rader.
»Nicht wirklich«, sagte Graham, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. »Aber sie sind alle noch in Ordnung. Ich vermute, daß sie alle vom selben Zahnarzt stammen, und die einzige Gegend im Land, wo Blattgoldfüllungen noch gemacht werden, ist an der Westküste.«
»Woher wissen Sie das?« fragte ihn O'Donnell.
»Man kann sich diese Füllungen nur dort machen lassen, wo es Zahnärzte gibt, die sie machen. Ich mache sie nicht. Ich kenne auch niemanden persönlich, der sie macht. Aber es gibt eine Organisation, in der sich Zahnärzte zusammengeschlossen haben, die Blattgoldfüllungen machen. Sie hat mehrere hundert Mitglieder. Die größte Ansammlung von ihnen findet sich im Staat Washington.«
»Warum will jemand eine solche Füllung?« fragte O'Donnell.
»Gold ist haltbar.« Graham blickte zu ihm auf. »Es gibt Leute, die sehr darauf achten, womit die Löcher in ihren Zähnen gefüllt werden. Die chemischen Substanzen in weißen Porzellanfüllungen können angeblich Nervenschäden verursachen. Sie werden schneller fleckig und halten nicht so lange. Manche Leute glauben, daß Silber alles mögliche verursachen kann, von Zysten bis zu Haarausfall.«
»Tja, also, manchen Typen gefällt einfach der Anblick von Gold«, sagte Marino.
»So ist es«, stimmte Graham zu. »Vielleicht ist sie eine von ihnen.«
Aber das glaubte ich nicht. Diese Frau schien keinen großen Wert auf ihr Äußeres gelegt zu haben. Ich vermutete, daß sie sich den Kopf nicht geschoren hatte, um damit einen Standpunkt zu bekunden oder weil es schick war. Als wir anfingen, ihr Inneres zu untersuchen, wurde mir einiges verständlicher, obwohl das Geheimnis, das sie umgab, noch größer wurde.
Sie hatte sich einer Hysterektomie unterzogen, wobei ihr Uterus vaginal entfernt worden war und die Eierstöcke erhalten geblieben waren. Und sie hatte Plattfüße. Zudem hatte sie ein altes intrazerebrales Hämatom im Stirnlappen ihres Gehirns, das von einem Schlag stammen mußte, der ihr den Schädel gebrochen hatte, unter den Narben, die wir gefunden hatten.
»Sie war Opfer eines tätlichen Angriffs, möglicherweise vor vielen Jahren«, sagte ich. »Es handelt sich um die Art Kopfverletzung, die häufig zu Persönlichkeitsveränderungen führt.« Ich dachte an sie, wie sie durch die Welt gezogen war, und niemand hatte sie vermißt. »Wahrscheinlich hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie und litt unter Anfällen.«
Horowitz wandte sich Rader zu. »Wir sollten die toxische Analyse beschleunigen. Und sie auf Diphenylhydantoin prüfen.«
5
Den restlichen Tag über konnte wenig getan werden. Die Stadt feierte Weihnachten, und Labors und die meisten Büros waren geschlossen. Marino und ich gingen ein paar Blocks Richtung Central Park, bevor wir in einem griechischen Cafe einkehrten, wo ich nur einen Kaffee trank. Ich konnte nichts essen. Dann fanden wir ein Taxi.
Wesley war nicht in seinem Zimmer. Ich ging in meines und stand lange Zeit am Fenster und schaute hinaus auf ein Gewirr dunkler Bäume und schwarzer Felsen inmitten des schneebedeckten Parks. Der Himmel war grau und schwer. Die Schlittschuhbahn oder den Brunnen, wo man die ermordete Frau gefunden hatte, konnte ich nicht sehen. Ich war nicht dabeigewesen, als man sie fand, aber ich hatte die Fotos eingehend studiert. Was Gault getan hatte, war schrecklich, und ich fragte mich, wo er in diesem Augenblick war.
Ich konnte die gewaltsamen
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