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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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allein hier?«
    »Captain Marino wird nachkommen.«
    »Emily wird sich darum kümmern, daß er zu uns geführt wird. Oder möchtest du lieber warten?«
    Ich wußte, daß Horowitz nicht warten wollte. Wir hatten keine Zeit. Er war verantwortlich für das größte Leichenschauhaus des Landes, auf dessen Stahltischen pro Jahr achttausend Leichen - die Einwohnerschaft einer Kleinstadt autopsiert wurden. Fünfundzwanzig Prozent der Toten waren Mordopfer, und manche blieben für alle Zeiten ohne Namen. New York hatte so große Probleme, seine Toten zu identifizieren, daß die Polizei eine Vermißtenabteilung in Horowitz' Gebäude eingerichtet hatte.
    Er griff nach dem Telefonhörer und redete mit jemandem, den er nicht namentlich ansprach. »Dr. Scarpetta ist hier. Wir kommen jetzt runter«, sagte er.
    »Ich werde mich drum kümmern, daß Captain Marino nicht verlorengeht«, sagte Emily. »Sein Name kommt mir bekannt vor.«
    »Wir arbeiten seit vielen Jahren zusammen«, sagte ich zu ihr. »Und er arbeitet für das FBI in Quantico, seitdem es diese Abteilung zur Unterstützung laufender Ermittlungen gibt.«
    »Ich dachte, diese Abteilung heißt Verhaltenswissenschaftliche Abteilung, wie im Film.«
    »Sie haben den Namen geändert, aber die Aufgabe ist die gleiche«, sagte ich. Die kleine Gruppe von Agenten war berühmt geworden durch die Erstellung psychologischer Profile zur Verfolgung gewalttätiger Sexualverbrecher und Mörder. Als ich vor nicht allzu langer Zeit zur beratenden forensischen Pathologin dieser Abteilung ernannt worden war, glaubte ich nicht, daß es viel gab, was ich noch nicht gesehen hatte. Ich hatte mich geirrt.
    Sonnenlicht erfüllte Horowitz' Zimmer und spiegelte sich in den gläsernen Regalen, auf denen Blumen und Miniaturbäume standen. Ich wußte, daß bei ihm zu Hause im Bad Orchideen in der feuchten Dunkelheit über dem Waschbecken und der Wanne wuchsen. Und daß er ein Treibhaus hatte. Als ich Horowitz zum erstenmal begegnete, hatte er mich an Lincoln erinnert. Beide Männer hatten hagere, gutmütige Gesichter, überschattet von einem Krieg, der die Gesellschaft gespalten hatte. Sie ertrugen Tragödien, als wären sie dafür auserwählt, und sie hatten lange, geduldige Hände.
    Wir gingen hinunter in den Raum, den die Mitarbeiter den Ruheraum nannten, seltsam freundliche Bezeichnung für die Leichenhalle in einer der gewalttätigsten Städte Amerikas. Die Luft, die durch die Türen der Einfahrt hereinzog, roch nach kaltem Zigarettenrauch und Tod. Auf blaugrünen Wänden warnten Schilder davor, blutige Laken, Leichentücher, Lumpen oder Behälter in die Mülltonnen zu werfen.
    Schuhschoner waren erforderlich, Essen war verboten, und an vielen Türen befanden sich rote Schilder, die vor biologischen Risiken warnten. Horowitz sagte, daß einer seiner dreißig Pathologen die Autopsie der unbekannten Frau durchführte, von der wir annahmen, daß sie Gaults jüngstes Opfer war.
    Wir betraten einen Umkleideraum, in dem Dr. Lewis Rader in Chirurgenkleidung dastand und sich einen Pack Batterien um das Handgelenk band.
    »Dr. Scarpetta«, sagte Horowitz, »kennen Sie und Dr. Rader sich?«
    »Wir kennen uns seit einer Ewigkeit«, sagte Rader lächelnd.
    »So ist es«, sagte ich erfreut. »Aber ich glaube, das letzte Mal, daß wir uns gesehen haben, war in San Antonio.«
    »Wirklich? Ist das schon so lange her?«
    Das war bei einem Kongreß der American Academy of Forensic Sciences gewesen. Wir trafen uns einmal im Jahr, ließen Diavorträge über uns ergehen und diskutierten. Rader hatte einen bizarren Fall von Tod durch Blitzschlag präsentiert. Das Opfer war eine junge Frau gewesen, der die Kleider vom Leibe gerissen worden waren und die sich am Kopf verletzt hatte, als sie auf Beton aufschlug. Ins Leichenschauhaus wurde sie als Opfer eines sexuellen Übergriffs eingeliefert. Bis Rader nachwies, daß die Gürtelschnalle der jungen Frau magnetisch geladen war und sie eine kleine Brandwunde auf einer Fußsohle hatte.
    Nach dem Vortrag hatte Rader mir einen Jack Daniels in einen Pappbecher gegossen, und wir hatten in Erinnerungen an die alten Zeiten geschwelgt, als es nur wenige forensische Pathologen gegeben hatte und ich die einzige Frau gewesen war. Rader war jetzt an die sechzig und wurde von seinen Kollegen sehr geschätzt. Aber er wäre kein guter Chief gewesen, weil er mit dem Papierkram und den Politikern auf Kriegsfuß stand.
    Wir sahen aus, als wollten wir einen Ausflug in den Weltraum

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