Die Tote ohne Namen
du schon unterwegs zum Flughafen.«
Ich nickte. Mein Magen zog sich zusammen, als ich daran dachte, wie Davilas Piepser im Leichenschauhaus losging. »Wie lautete diesmal die Botschaft?« fragte ich.
»Willst du sie sehen?«
»Ja.«
Lucy ging in ihr Zimmer und kam mit einer Aktentasche zurück. Sie holte ein Blatt Papier heraus und reichte es mir. Es war ein Computerausdruck des VICAP-Terminals der Abteilung, die Frances Penn unterstand. Er lautete:
---MELDUNG PQ21 9 67 01 001145 START---
VON: - CAIN
A N: - ALLE EINHEITEN & BEFEHLSBEREICHE
BETR: - TOTE POLIZISTEN AN ALLE BETROFFENEN
BEFEHLSBEREICHE: BEAMTE WERDEN AUS GRÜNDEN DER SICHERHEIT HELME TRAGEN, WENN SIE IN SUBWAYTUNNELN VON EINER PATROUILLE GERUFEN WERDEN ODER SELBST AUF PATROUILLE SIND.
---MELDUNG PQ21 96701 001145 ENDE —
Ich starrte eine Weile auf den Ausdruck, genervt und beunruhigt. Dann fragte ich: »Hat derjenige, der das eingegeben hat, einen Benutzernamen?«
»Nein.«
»Und es gibt überhaupt keine Möglichkeit, die Meldung zurückzuverfolgen?«
»Nicht mit konventionellen Mitteln.«
»Was glaubst du?«
»Ich glaube, daß wer immer in CAIN reingekommen ist, als in der ERF eingebrochen wurde, ein Programm installiert hat.« »So etwas wie einen Virus?« fragte ich.
»Es ist ein Virus, und er steckt in einer Datei, an die wir bislang nicht gedacht haben. Er erlaubt jemandem, sich in unserem System zu bewegen, ohne Spuren zu hinterlassen.«
Ich dachte an Gault im Schein der Taschenlampe letzte Nacht im Tunnel, an endlos lange Gleise, die immer tiefer in Dunkelheit und Wahn führten. Gault bewegte sich frei in Räumen, welche die meisten Menschen nicht einmal sahen. Er stieg gewandt über schmierigen Stahl, Nadeln und stinkende Menschen- und Rattennester. Er war ein Virus. Irgendwie war er in unsere Körper gelangt, in unsere Häuser und unsere Technologie.
»Also, CAIN ist von einem Virus infiziert«, sagte ich.
»Einem ungewöhnlichen Virus. Er will weder die Festplatte zerstören noch Daten verschwinden lassen. Es ist kein allgemein gebräuchlicher Virus. Er wurde speziell für CAIN geschaffen, weil sein Zweck darin besteht, jemandem Zugang zu CAIN und der VICAP-Datenbasis zu verschaffen. Er funktioniert wie ein Hauptschlüssel. Er öffnet jede Tür im Haus.«
»Und er steckt in einem Programm?«
»Ja, man könnte sagen, daß er einen Wirt hat. Ja. Irgendein Programm, das wir routinemäßig benutzen. Ein Virus kann nur dann Schaden anrichten, wenn der Computer eine Routine oder Subroutine anwendet, die veranlaßt, daß das Host-Programm -zum Beispiel Autoexec.bat in DOS - gelesen wird.«
»Ich verstehe. Und der Virus sitzt in keiner Datei, die gelesen wird, wenn der Computer gestartet wird?«
Lucy schüttelte den Kopf.
»Wie viele Programmdateien hat CAIN?«
»Ach, du liebe Zeit«, stöhnte sie. »Tausende. Und manche sind so lang, daß man mit den Ausdrucken dieses Haus einwickeln könnte. Der Virus kann überall stecken, und die Situation wird weiter dadurch kompliziert, daß ich nicht alles programmiert habe. Mit Dateien, die andere geschrieben haben, bin ich nicht so vertraut wie mit meinen eigenen.«
Mit den anderen war Carrie Grethen gemeint, die Lucys Programmierer-Kollegin und Freundin gewesen war. Carrie hatte auch Gault gekannt und war verantwortlich für den Einbruch in die ERF. Lucy wollte nicht über sie reden und vermied es, ihren Namen auszusprechen.
»Ist es möglich, daß der Virus in einem Programm steckt, das Carrie geschrieben hat?« fragte ich.
Lucys Miene blieb unverändert. »Vielleicht steckt er in einem Programm, das ich nicht geschrieben habe. Vielleicht aber auch in einem Programm, das von mir stammt. Ich weiß es nicht. Ich bin auf der Suche. Aber das kann lange dauern.«
Das Telefon klingelte.
»Das ist wahrscheinlich Jan.« Sie stand auf und ging in die Küche.
Ich blickte auf die Uhr. In einer halben Stunde sollte ich unten bei Wesley sein. Lucy legte die Hand über die Sprechmuschel. »Hast du was dagegen, wenn Jan vorbeikommt? Wir wollen ein bißchen laufen.«
»Natürlich nicht«, sagte ich.
»Sie will wissen, ob du mit uns laufen willst.«
Ich lächelte und schüttelte den Kopf. Ich konnte nicht mit Lucy mithalten, auch wenn sie zwei Schachteln Zigaretten pro Tag rauchte, und Janet war so etwas wie eine Profi-Athletin. Die beiden vermittelten mir das vage Gefühl, alt und im falschen Team zu sein.
»Wie war's mit etwas zu trinken?« Lucy telefonierte nicht mehr, sondern
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