Die Tote ohne Namen
Academy.
Sie nickte. »Ja.«
»Was kann er für einen Grund gehabt haben?«
Sie schnippte Asche auf ihre Handfläche. »Niemand hat mir einen Grund genannt. Ich kann nur vermuten, daß es etwas mit der ERF zu tun hat, mit CAIN.« Sie hielt inne. »Du weißt schon, diese merkwürdigen Meldungen.«
»Lucy, was geht hier eigentlich vor?«
»Wir wissen es nicht«, sagte sie gleichmütig. »Aber irgend etwas stimmt nicht.«
»Gault?«
»Es gibt keinen Beweis dafür, daß irgend jemand in das System eingedrungen ist - niemand, der nicht befugt ist.«
»Aber du glaubst, daß es doch jemand getan hat.« Sie inhalierte tief, wie eine alte Raucherin. »CAIN tut nicht, worauf wir ihn programmiert haben. Er tut etwas anderes, bekommt seine Instruktionen von woanders her.«
»Aber dem muß man doch auf die Spur kommen«, sagte ich.
In ihren Augen blitzte es. »Glaub mir, ich versuche es.«
»Ich zweifle nicht an deinen Anstrengungen oder Fähigkeiten.«
»Es gibt keine Spuren«, fuhr sie fort. »Wenn jemand ins System hineinkommt, hinterläßt er keine Spuren. Und das ist nicht möglich. Man kann nicht in das System und es Meldungen verschicken lassen oder irgendwas anderes tun, ohne daß es im Benutzerprotokoll auftaucht. Und wir lassen den Drucker morgens, mittags und abends laufen. Und er gibt jeden Tastendruck wieder, den wer auch immer warum auch immer und wann auch immer gemacht hat.«
»Warum wirst du wütend?« fragte ich.
»Weil ich es satt habe, daß mir die Schuld zugeschoben wird für die Probleme dort drüben. Der Einbruch war nicht meine Schuld. Ich hatte keine Ahnung, daß jemand, der neben mir arbeitet... Sie zog an der Zigarette. »Ich habe mich nur bereit erklärt, nachzuforschen, weil man mich darum gebeten hat. Weil mich der Senator darum gebeten hat. Oder vielmehr dich...«
»Lucy, soweit ich weiß, gibt niemand dir die Schuld für die Probleme mit CAIN«, sagte ich leise.
In ihren Augen flackerte erneut Zorn auf. »Wenn man mir nicht die Schuld gibt, müßte ich nicht hier wohnen. De facto hat man mich unter Hausarrest gestellt.«
»Unsinn. Ich werde jedesmal hier untergebracht, wenn ich nach Quantico komme, und ich stehe gewiß nicht unter Hausarrest.«
»Sie bringen dich aus Sicherheitsgründen hier unter und damit du deine Ruhe hast. Aber ich bin nicht deswegen hier. Man schiebt mir mal wieder die Schuld in die Schuhe. Ich werde überwacht. Ich merke es daran, wie manche Leute dort drüben mich behandeln.« Sie machte eine Kopfbewegung Richtung ERF, die sich gegenüber der Akademie auf der anderen Straßenseite befand.
»Was ist heute passiert?«
Sie ging in die Küche, ließ Wasser über die Zigarettenkippe laufen und warf sie in den Abfall. Dann setzte sie sich wieder und schwieg hartnäckig. Ich musterte sie und wurde zunehmend unruhig. Ich wußte nicht, warum sie so wütend war, und wann immer sie sich auf eine Art und Weise verhielt, für die ich keine Erklärung hatte, bekam ich wieder einen Schrecken.
Lucy hätte bei dem Autounfall damals ums Leben kommen können. Die Kopfverletzung hätte ihr bemerkenswertestes Talent zerstören können, und Bilder von Hämatomen und wie Eierschalen zerbrochenen Schädeln suchten mich heim. Ich dachte an die Frau, die wir Jane nannten, mit dem geschorenen Kopf und den Narben, und stellte mir Lucy an Orten vor, wo niemand ihren Namen kannte.
»Geht's dir gut?« fragte ich sie.
Sie zuckte die Achseln.
»Was ist mit den Kopfschmerzen?«
»Ich kriege sie noch immer.« Sie blickte jetzt mißtrauisch drein. »Manchmal hilft das Midrin. Manchmal muß ich mich darauf übergeben. Das einzige, was wirklich hilft, ist Fiorinal. Aber das habe ich nicht.«
»Das brauchst du auch nicht.«
»Du bist nicht diejenige, die Kopfschmerzen hat.«
»Ich habe oft Kopfschmerzen. Du brauchst keine Barbiturate. Schläfst du gut? Ißt du genügend? Trainierst du?«
»Was soll das sein, eine Arztvisite?«
»Sozusagen. Weil ich zufälligerweise Ärztin bin. Nur daß du keinen Termin hast, ich aber so nett bin, dich trotzdem zu behandeln.«
Ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln. »Mir geht's gut«, sagte sie kleinlaut.
»Irgend etwas ist heute passiert«, sagte ich noch einmal. »Vermutlich hast du nicht mit Commander Penn gesprochen.« »Nicht seit heute vormittag. Ich wußte nicht, daß du sie kennst.«
»Sie ist bei uns online, bei CAIN. Um zwölf Uhr mittags hat CAIN sich beim VICAP-Terminal der Transit Police in New York gemeldet. Wahrscheinlich warst
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