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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Leiche zugewandt. Sie zogen ihr Stiefel und Socken aus, lösten ein Holster um die Wade, in dem eine Walther 350 steckte. Davila hätte sie eigentlich nicht tragen dürfen, und er hatte keine Gelegenheit gehabt, sie zu benützen. Sie zogen ihm die kugelsichere Weste und ein marineblaues Polizei-T-Shirt aus und nahmen ihm eine lange Kette mit einem silbernen Kruzifix ab. Auf seine rechte Schulter war eine Rose tätowiert, die sich um ein kleines Kreuz schlang. In seiner Brieftasche befand sich ein einziger Dollar.

9
    Am Nachmittag desselben Tages flog ich von New York nach Washington, wo ich um drei Uhr eintraf. Am Flughafen holten mich weder Lucy, die seit ihrem Unfall nicht mehr Auto fuhr, noch Wesley ab. Er hatte keinen Grund dafür.
    Vor dem Flughafengebäude wurde ich, während ich mich allein mit meinem Gepäck abmühte, plötzlich von Selbstmitleid überwältigt. Ich war müde, meine Kleidung fühlte sich schmutzig an. Ich versank in Hoffnungslosigkeit und schämte mich, es zuzugeben. Es schien mir nicht einmal zu gelingen, ein Taxi zu ergattern.
    Schließlich fuhr ich in einem verbeulten, himmelblauen Taxi mit rosa getönten Fenstern in Quantico vor. Mein Fenster ließ sich nicht herunterkurbeln, und der vietnamesische Fahrer war nicht in der Lage, dem Wachmann an der Einfahrt zur FBI-Academy zu erklären, wer ich war.
    »Frau Arzt«, wiederholte der Fahrer, und mir war klar, daß ihm die Sicherheitsvorkehrungen und die vielen Antennen auf den Dächern unheimlich waren. »Sie okay.«
    »Nein«, sagte ich zu seinem Hinterkopf. »Meine Name ist Kay. Kay Scarpetta.«
    Ich versuchte auszusteigen, aber die Türen waren verriegelt, die Knöpfe entfernt. Der Wachmann griff zu seinem Funksprechgerät.
    »Bitte lassen Sie mich raus«, sagte ich zu dem Fahrer, der auf die Neunmillimeter-Pistole am Gürtel des Wachmanns starrte. »Sperren Sie auf, damit ich aussteigen kann.«
    Er wandte sich erschrocken um. »Hier?«
    »Nein«, sagte ich, als der Wachmann aus seiner Kabine kam.
    Die Augen des Fahrers wurden immer größer.
    »Ich meine, lassen Sie mich hier für einen Augenblick aussteigen. Damit ich es dem Wachmann erklären kann.« Ich deutete und sprach sehr langsam. »Er weiß nicht, wer ich bin, weil ich das Fenster nicht aufmachen kann und er durch das Glas nichts sieht.«
    Der Fahrer nickte.
    »Ich muß raus«, sagte ich entschieden und mit Nachdruck. »Sie müssen mir die Tür aufmachen.« Er entriegelte die Türen.
    Ich stieg aus und identifizierte mich für den jungen Wachmann, der etwas militärisch wirkte.
    »Die Fenster sind getönt, ich konnte Sie nicht sehen«, sagte er. »Beim nächsten mal kurbeln Sie einfach das Fenster runter.«
    Der Fahrer holte mein Gepäck aus dem Kofferraum und stellte es auf die Straße. Er sah sich panisch um, als Artilleriefeuer und Schüsse von den Schießanlagen zu hören waren.
    »Nein, nein, nein.« Ich bedeutete ihm, das Gepäck wieder in den Kofferraum zu laden. »Bitte fahren Sie dort hinüber.« Ich zeigte auf das Jefferson Building, einen großen Klinkerbau auf der anderen Seite des Parkplatzes.
    Es war klar, daß er mich nicht hinbringen wollte, aber ich setzte mich wieder ins Auto, bevor er davonfahren konnte. Der Kofferraumdeckel schlug zu, und der Wachmann winkte uns durch. Es war kalt, der Himmel strahlendblau.
    In der Lobby des Jefferson wünschte mir eine Videoanzeige frohe und gefahrlose Feiertage. Eine junge sommersprossige Frau erledigte die Formalitäten und reichte mir eine Magnetkarte zum Öffnen der Türen in der Akademie.
    »War der Weihnachtsmann in diesem Jahr nett zu Ihnen, Dr. Scarpetta?« fragte sie mich gutgelaunt und suchte nach dem Zimmerschlüssel.
    »Ich war wohl nicht brav genug«, sagte ich. »Ich habe nur die Rute zu spüren bekommen.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen. Wo Sie doch immer so nett sind. Ich habe Sie wie üblich im Sicherheitsstockwerk untergebracht.«
    »Danke.« Ich konnte mich an ihren Namen nicht erinnern und hatte das Gefühl, daß sie es wußte.
    »Wie lange bleiben Sie?«
    »Nur eine Nacht.« Ich dachte, sie hieße Sarah, und aus irgendeinem Grund erschien es mir plötzlich wichtig, mich daran zu erinnern.
    Sie reichte mir zwei Schlüssel, einen aus Plastik, einen anderen aus Metall. »Sie sind Sarah, nicht wahr?« Ich mußte es riskieren. »Nein, ich bin Sally.« Sie schien gekränkt.
    »Ich meinte Sally«, sagte ich geknickt. »Natürlich. Tut mir leid. Sie kümmern sich immer so rührend um mich. Vielen

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