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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Er hatte einen jungen Polizeibeamten ermordet. Er hatte Sheriff Santa umgebracht und war ins Leichenschauhaus eingebrochen. Und das alles in vier Tagen. Ich trat vorsichtig näher an meinen Schreibtisch heran, nahm alles genau in Augenschein, und als ich an den Computer kam, konnte ich ein fremdes Wesen spüren wie ein elektrisches Feld.
    Ich mußte meine Tastatur nicht berühren, um zu wissen, daß er es getan hatte. Ich betrachtete die Mailwaiting-Anzeige. Ich drückte mehrere Tasten, um ein Menü aufzurufen, in dem meine Post gespeichert war. Aber statt dessen erschien ein Bildschirmschoner. Auf schwarzem Hintergrund tauchte das Wort CAIN in knallroten Buchstaben auf, die zerflossen, als bluteten sie. Ich ging zurück ins Besprechungszimmer.
    »Marino«, sagte ich. »Bitte, komm mit.«
    Er ließ Evans allein und folgte mir in mein Büro. Ich deutete auf meinen Bildschirm. Marino starrte ihn wortlos an. Sein weißes Uniformhemd war naß unter den Achseln, und er roch nach Schweiß. Steifes, schwarzes Leder knarzte jedesmal, wenn er sich bewegte. Ständig rückte er seinen schweren Gürtel unter seinem schweren Bauch zurecht, als stünde ihm alles, was er im Leben erreicht hatte, im Weg.
    »Wie schwer ist es, so was zu machen?« fragte er und wischte sich das Gesicht mit einem schmutzigen Taschentuch ab.
    »Nicht schwer, wenn man ein Programm hat, das man nur überspielen muß.«
    »Wo, zum Teufel, hat er das Programm her?« »Das macht mir auch Sorgen«, sagte ich und dachte an die Frage, die wir beide nicht stellten.
    Wir kehrten ins Besprechungszimmer zurück. Evans stand da und schaute benommen auf die Fotografien an der Wand.
    »Mr. Evans«, sagte ich. »Hat der Mann vom Bestattungsinstitut mit Ihnen gesprochen?«
    Er drehte sich erschrocken um. »Nein, Ma'am. Nicht viel wenigstens.«
    »Nicht viel?« Ich verstand ihn nicht. »Nein, Ma'am.«
    »Wie hat er Ihnen dann klargemacht, was er wollte?«
    »Er hat nur das unbedingt Notwendige gesagt.« Er hielt inne. »Er war wirklich nicht sehr gesprächig. Und er hat ganz leise geredet.« Evans rieb sich die Stirn. »Je länger ich darüber nachdenke, um so komischer ist es. Er hatte eine Brille mit getönten Gläsern auf. Und ehrlich gesagt« - er schwieg einen Augenblick lang - »hatte ich so einen Eindruck.«
    »Was für einen Eindruck?« fragte ich.
    »Ich dachte, vielleicht ist er homosexuell.«
    »Marino«, sagte ich. »Machen wir einen kleinen Spaziergang.«
    Wir begleiteten Evans aus dem Gebäude und warteten, bis er um die Ecke verschwunden war, weil ich nicht wollte, daß er sah, was wir als nächstes taten. Beide Leichenwagen standen wie üblich auf dem Parkplatz in der Nähe meines Mercedes. Ohne die Tür oder das Glas zu berühren, sah ich durch das Fenster auf der Fahrerseite des Wagens, der näher an der Einfahrt stand. Deutlich war zu erkennen, daß die Plastikabdeckung an der Lenksäule entfernt war und Drähte herausgezogen waren.
    »Er wurde kurzgeschlossen«, sagte ich.
    Marino griff zu seinem Funksprechgerät und hielt es sich nahe an den Mund. »Einheit 800.«
    »800«, antwortete die Funkzentrale.
    »Zehnfünf 711.«
    Über Funk sprach Marino mit dem Detective, der die Nummer 711 hatte und sich irgendwo im Leichenschauhaus aufhielt, und wies ihn an, herauszukommen.
    Als nächstes rief Marino einen Abschleppwagen. Die Türgriffe des Wagens mußten nach Fingerabdrücken untersucht werden. Er würde beschlagnahmt und innen wie außen sorgfältig unter die Lupe genommen werden. Eine Viertelstunde später war 711 immer noch nicht da.
    »Der Mann muß taub sein«, klagte Marino und ging mit dem Funkgerät in der Hand um den Wagen. »Verdammt faul der Kerl. Deswegen nennen sie ihn Detective 711. Weil er so schnell ist. Scheiße.« Er blickte gereizt auf seine Uhr. »Wo bleibt er bloß? Hat er sich auf der Toilette verirrt?«
    Ich fror fürchterlich, denn ich hatte keinen Mantel über meine grüne Kluft gezogen. Ich umrundete den Wagen mehrmals und hätte am liebsten die Hecktür aufgemacht. Fünf weitere Minuten vergingen, und Marino ließ über die Zentrale die Polizisten im Haus rufen. Sie kamen sofort.
    »Wo ist Jakes?« knurrte Marino sie an, kaum tauchten sie in der Tür auf.
    »Er wollte sich umsehen«, sagte einer der beiden.
    »Ich habe ihn vor zwanzig Minuten rausbeordert. Ich dachte, er wäre mit einem von euch zusammen.«
    »Nein, Sir. Nicht während der letzten halben Stunde.« Marino versuchte noch einmal, 711 über Funk zu erreichen,

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