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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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erhielt jedoch keine Antwort. In seinen Augen glimmte Angst.
    »Vielleicht ist er in einem Teil des Gebäudes, wo er sich nicht zurechtfindet«, sagte ein Polizist und blickte zu den Fenstern hinauf. Sein Kollege griff an seine Waffe und sah sich ebenfalls um.
    Marino rief über Funk Verstärkung. Der Parkplatz füllte sich allmählich mit Autos, meine Mitarbeiter trafen einer nach dem anderen ein. Sie strebten ins Gebäude, um der eisigen Kälte zu entgehen, und beachteten uns nicht. Schließlich waren sie den Anblick von Streifenwagen und Polizisten gewöhnt. Marino versuchte noch einmal, sich mit Detective Jakes in Verbindung zu setzen, aber er erhielt wieder keine Antwort.
    »Wo habt ihr ihn zuletzt gesehen?« fragte Marino die beiden Polizisten.
    »Er ist in den Aufzug gestiegen.«
    »Wo?«
    »Im zweiten Stock.«
    Marino wandte sich an mich. »Kann er noch weiter rauffahren?«
    »Nein«, sagte ich. »Für die Stockwerke über dem zweiten ist ein Sicherheitscode erforderlich.«
    »Ist er noch einmal in die Leichenhalle runtergefahren?« Marino wurde zunehmend unruhig.
    »Ich bin ein paar Minuten nach ihm runtergefahren und habe ihn nicht gesehen«, sagte ein Polizist.
    »Das Krematorium«, sagte ich. »Er könnte dort hinuntergefahren sein.«
    »Okay. Ihr sucht in der Leichenhalle«, sagte Marino zu den beiden Polizisten. »Und bleibt zusammen. Der Doc und ich werden uns im Krematorium umsehen.«
    In der Einfahrt, links von der Laderampe, befand sich ein alter Aufzug, der ins Untergeschoß fuhr, wo früher für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellte Leichen einbalsamiert, gelagert und schließlich, nachdem die Medizinstudenten mit ihnen fertig waren, verbrannt wurden. Es war durchaus möglich, daß Jakes dort hinuntergefahren war, um sich umzusehen. Ich drückte auf den Knopf. Quietschend und klappernd kam der Aufzug langsam nach oben. Ich zog an einem Griff und schob die schweren Türen auf, an denen die Farbe abblätterte. Wir stiegen ein.
    »Verdammt, die Sache gefällt mir gar nicht«, sagte Marino. Während wir hinunterfuhren, löste er den Verschluß seines Holsters.
    Er zog seine Pistole, als der Aufzug rumpelnd anhielt und sich die Türen in den Teil des Gebäudes öffneten, den ich am wenigsten mochte. Mir waren diese matt beleuchteten, fensterlosen Räume unangenehm, obwohl ich um ihre frühere Bedeutung wußte. Nachdem wir die Anatomie an das Medizinische College verlegt hatten, benutzten wir den Ofen nur noch, um biologisch gefährliche Abfälle zu verbrennen. Ich holte meinen Revolver aus der Tasche.
    »Bleib hinter mir«, sagte Marino und sah sich vorsichtig um.
    In dem großen Raum war es still, abgesehen vom Geräusch des Ofens hinter der Tür auf halber Länge der Wand. Wir standen schweigend da und blickten auf alte Bahren mit leeren Leichensäcken und auf leere blaue Fässer, die einst das Formalin enthielten, mit dem die im Boden eingelassenen Kessel gefüllt wurden. In den Kesseln lagerten die Leichen. Ich sah, wie Marino an der Decke angebrachte Schienen, Ketten und Haken betrachtete, mit denen früher die massiven Deckel von den Kesseln und den darunter verstauten Leichen gehoben wurden.
    Er atmete schwer und schwitzte stark, als er sich einem Balsamierraum näherte und hineinschlich. Ich blieb in seiner Nähe, während er leerstehende Büroräume inspizierte. Er sah mich an und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß aus dem Gesicht.
    »Hier müssen es über 30 Grad sein«, murmelte er und zog das Funksprechgerät aus dem Gürtel.
    Ich starrte ihn erschrocken an.
    »Was ist los?« fragte er.
    »Der Ofen dürfte eigentlich nicht an sein«, sagte ich und schaute zu der geschlossenen Tür des Krematoriums. Ich ging auf die Tür zu.
    »Es gibt keinen Abfall zu beseitigen, und es ist gegen alle Vorschriften, den Ofen unbeaufsichtigt brennen zu lassen«, sagte ich.
    Vor der Tür hörten wir das Inferno, das sich dahinter abspielte. Ich legte die Hand auf den Knauf. Er war sehr heiß.
    Marino trat vor mich, drehte den Knauf und stieß die Tür mit dem Fuß auf, den Revolver schußbereit in beiden Händen, als wäre der Ofen ein Ungetüm, das er vielleicht erschießen müßte.
    »Herr im Himmel«, sagte er.
    Flammen züngelten aus den Ritzen an der riesigen, uralten Eisentür, und auf dem Boden lagen kleine und große Stücke von kreideweißen verbrannten Knochen. Eine Bahre stand neben der Ofentür. Ich nahm einen langen eisernen Haken und schob ihn durch einen Ring an der

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